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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Joe sich nicht nur damit abgefunden, dass Emma tot war, sondern auch beschlossen, dass er sich nie wieder verlieben würde. Vielleicht würde er eines Tages heiraten, dann aber eine Vernunftehe mit einer Frau eingehen, die seiner Karriere förderlich sein und ihm Erben schenken würde. Er ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen – Erben . (Arbeiter bekamen Söhne, erfolgreiche Männer zeugten Erben.) Bis dahin würde er sich an Huren halten. Vielleicht war die Kleine, die ihn so missbilligend angesehen hatte, ja in Wirklichkeit eine Nutte, die auf keusch machte. Und falls dem so war, würde er sie garantiert nicht von der Bettkante stoßen – eine wunderschöne Mulattin, wie sie einem echten Verbrecherkönig gebührte.
    Der Gepäckträger brachte seine Koffer, und Joe drückte ihm ein paar feuchte Dollarnoten in die Hand. Ihm war gesagt worden, dass ihn jemand abholen würde, doch blöderweise hatte er nicht nachgehakt, wie ihn derjenige überhaupt erkennen sollte. Langsam drehte er sich um die eigene Achse und hielt Ausschau nach einem Typen, der entsprechend nach Unterwelt aussah, doch stattdessen erspähte er erneut die Mulattin, die nun wieder auf ihn zukam. Mit der freien Hand strich sie sich eine Strähne aus der Stirn; mit dem anderen Arm hatte sie sich bei einem Latino untergehakt, der eine Kreissäge, eine braune Seidenhose mit messerscharfen Bügelfalten und ein weißes kragenloses Hemd trug, das bis obenhin zugeknöpft war. Nicht eine Schweißperle stand auf seiner Stirn, und auch das Hemd war knochentrocken, selbst am Kragen unterhalb seines Adamsapfels. Er hatte denselben sanft federnden Gang wie die Frau, und in seinen Bewegungen lag purer Rhythmus, auch wenn seine Schritte so zackig waren, dass die Absätze laut auf den Boden klackten.
    Als sie an Joe vorbeiliefen, hörte er, dass sie Spanisch sprachen; ihre Unterhaltung perlte schnell und leichtfüßig, und die Frau warf Joe im Vorübergehen einen flüchtigen Blick zu, so flüchtig, dass er glaubte, es sich nur eingebildet zu haben. Der Mann deutete zum Ende des Bahnsteigs und sagte etwas in seinem lebhaften Spanisch; beide lachten, und dann waren sie auch schon an ihm vorbei.
    Er wollte sich gerade erneut nach der Person umsehen, die ihn abholen sollte, als ihn jemand vom glutheißen Boden lupfte, als sei er nicht schwerer als ein Wäschesack. Verdutzt blickte Joe auf die zwei fleischigen Arme, die sich von hinten um seine Taille schlangen, während ihm gleichzeitig ein vertrauter Geruch von rohen Zwiebeln und Arabian-Sheik-Herrenparfum in die Nase stieg.
    Als er wieder heruntergelassen wurde, wirbelte er herum – und sah sich zum ersten Mal seit jenem verhängnisvollen Tag in Pittsfield seinem alten Freund gegenüber.
    »Dion«, platzte er heraus.
    Früher bereits leicht dicklich, hatte Dion schwer zugelegt. Er trug einen champagnerfarbenen Nadelstreifenanzug, dazu ein lavendelfarbenes Hemd mit weißem Kragen und eine blutrote Krawatte mit schwarzen Streifen. Seine schwarzweißen Budapester passten wie die Faust aufs Auge. Hätte man einen Greis mit schlechten Augen gebeten, aus hundert Meter Entfernung zu sagen, wer von den Leuten auf dem Bahnsteig ein Gangster war, hätte er den zittrigen Finger geradewegs auf Dion gerichtet.
    »Joseph«, sagte er förmlich, dann machte sich ein ausladendes Grinsen in seinem runden Gesicht breit. Abermals schlang er die Arme um Joe, diesmal von vorn, hob ihn hoch und drückte ihn so fest an sich, dass Joe um sein Rückgrat fürchtete.
    »Tut mir leid, das mit deinem Vater«, sagte Dion leise.
    »Mir das mit deinem Bruder auch.«
    »Danke.« Eine seltsame Heiterkeit schwang in Dions Stimme. »Und alles wegen dem verdammten Dosenschinken.« Er ließ Joe wieder herunter und lächelte. »Ich hätte ihm eine eigene Schweinezucht gekauft.«
    Zusammen gingen sie den Bahnsteig entlang.
    Dion nahm Joe einen seiner Koffer ab. »Als Lefty Downer mich in Montreal aufgestöbert und mir gesagt hat, dass die Pescatores einen Job für mich hätten, habe ich ehrlich gesagt angenommen, er will mich verarschen. Aber dann hat er mir erzählt, du wärst im selben Knast wie der Alte, und da habe ich mir gedacht, tja, wenn irgendwer den Teufel höchstpersönlich um den Finger wickeln könnte, dann wohl mein alter Partner.« Er ließ seine feiste Pranke auf Joes Schulter niedergehen. »Fabelhaft, dass du wieder da bist!«
    »Tut gut, mal wieder ein bisschen frische Luft um die Nase zu haben«, sagte Joe.
    »War

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