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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Charlestown…«
    Joe nickte. »Schlimm genug. Aber ich habe mich halbwegs anständig geschlagen.«
    »Das glaube ich gern.«
    Auf dem mit Muschelsplitt gestreuten Parkplatz stach ihnen die Sonne noch greller in die Augen; Joe hielt sich die Hand über die Augen, doch auch das half nicht viel.
    »Du lieber Himmel«, sagte er zu Dion. »Und du trägst auch noch einen Dreiteiler.«
    »Ich sag dir, wie’s geht«, antwortete Dion, während er vor einem Marmon 34 stehen blieb und Joes Koffer abstellte. »Das nächste Mal, wenn du im Kaufhaus bist, reißt du dir alle Hemden in deiner Größe unter den Nagel. Ich verbrauche vier pro Tag.«
    Joe warf einen Blick auf Dions Hemd. »Lavendel? Die hatten vier in der Farbe auf Lager?«
    »Sogar acht.« Dion öffnete die hintere Wagentür und verfrachtete Joes Gepäck auf den Rücksitz. »Wir fahren nur ein paar Blocks, aber bei der Hitze…«
    Joe wollte die Beifahrertür öffnen, doch Dion war schneller als er. Joe musterte ihn stirnrunzelnd. »Willst du mich verscheißern, oder was?«
    »Ist mein Job«, sagte Dion. »Du bist jetzt der Boss.«
    »Hör bloß auf mit dem Mist.« Joe schüttelte den Kopf und stieg ein.
    Als sie vom Parkplatz fuhren, sagte Dion: »Unter dem Sitz wartet ein Freund auf dich.«
    Joe beugte sich vor und förderte eine Savage-Automatik Kaliber 32 zutage. Indianerkopf-Griff und Neun-Zentimeter-Lauf. Joe steckte die Pistole in die rechte Hosentasche und sagte Dion, dass er noch ein Halfter benötigte, während er sich fragte, wieso Dion nicht gleich daran gedacht hatte.
    »Willst du meins haben?«
    »Nein«, sagte Joe. »Schon okay.«
    »Ehrlich, kein Problem.«
    »Nein, schon gut.« In die Chef-Nummer musste er wohl erst noch hineinwachsen, dachte Joe. »Hauptsache, ich kriege eins.«
    »Spätestens heute Abend«, sagte Dion. »Versprochen.«
    Der Verkehr schlängelte sich ebenso träge dahin wie alles andere hier unten. Dion ließ West Tampa hinter sich und fuhr Richtung Ybor City. Das grelle Weiß des Himmels vermischte sich mit dem bräunlichen Rauch aus den Fabrikschloten. Die Zigarrenindustrie, erklärte Dion, hatte dieses Viertel zu dem gemacht, was es war. Er zeigte auf die Backsteinbauten, die hohen Schornsteine und andere, kleinere Gebäude – manche davon bloß Schuppen, deren Türen offen standen –, in denen Arbeiter gebeugt über Tischen saßen und Zigarren rollten.
    Dion ratterte die Markennamen herunter – El Reloj und Cuesta-Rey, Bustillo, Celestino Vega, El Paraiso, La Pila, La Trocha, El Naranjal, Perfecto Garcia . Die angesehenste Stellung in den Fabriken, erläuterte er Joe, bekleidete der Vorleser, ein Mann, der auf einem Stuhl in der Mitte der jeweiligen Halle saß und laut aus großen Romanen der Weltliteratur vorlas. Er erklärte, dass die Zigarrenroller tabaqueros und die kleinen Fabriken chinchals genannt wurden, und der Essensgeruch, der sich mit dem stinkenden Qualm vermischte, stammte vermutlich von bolos oder empanadas .
    »Was sagt man dazu?« Joe pfiff durch die Zähne. »Das geht dir ja so locker über die Lippen wie dem König von Spanien.«
    »Ohne Spanisch geht hier gar nichts«, sagte Dion. »Das gilt übrigens auch für Italienisch.«
    »Mein Bruder und du, ihr könnt Italienisch, aber ich habe es nie gelernt.«
    »Dann streng deine grauen Zellen mal ein bisschen an. Dass wir hier in Ybor schalten und walten können, wie es uns gefällt, liegt einzig und allein daran, dass uns der Rest der Stadt in Ruhe lässt. Für die sind wir bloß ein Haufen dreckiger Bohnenfresser und Itaker, und solange wir nicht groß auffallen oder die Zigarrenroller mal wieder streiken, können wir hier tun und lassen, was wir wollen.« Er bog in die 7th Avenue ab, ganz offensichtlich eine der Hauptstraßen, da jede Menge Leute auf den Gehsteigen unterwegs waren; die zweistöckigen Häuser mit ihren ausladenden Balkonen, geschwungenen Eisengittern und Stuckfassaden erinnerten Joe an das durchzechte Wochenende, das er vor ein paar Jahren in New Orleans verbracht hatte. In der Straßenmitte verliefen Schienen, und mehrere Häuserblocks entfernt tauchte eine Straßenbahn wie eine Fata Morgana aus der flirrenden Hitze auf.
    »Tja, eigentlich könnte hier Friede, Freude, Eierkuchen herrschen«, sagte Dion, »aber leider ist das nicht immer so. Gut, Italiener und Kubaner bleiben unter sich. Aber die schwarzen Kubaner hassen die weißen Kubaner, und die weißen Kubaner behandeln die schwarzen wie ihre Nigger, und sowohl die einen wie die

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