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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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anderen rümpfen die Nase über den Rest der Welt. Alle Kubaner hassen die Spanier wie die Pest, und die Spanier halten die Kubaner für renitente Neger, die vergessen haben, wo sie herkommen, seit die USA sie anno ’98 befreit haben. Die Kubaner und die Spanier sehen auf die Puertoricaner herab, und die Dominikaner sind für alle der letzte Dreck. Die Italiener respektieren dich nur, wenn du in Italien geboren worden bist, und die Americanos glauben tatsächlich, irgendjemand würde einen Scheiß auf ihren Schwachsinn geben.«
    »Hast du uns gerade wirklich Americanos genannt?«
    »Ich bin Italiener«, sagte Dion, während er nach links auf eine andere breite, allerdings ungepflasterte Straße abbog. »Und stolz darauf, hier erst recht.«
    Joe sah das Blau des Golfs, die im Hafen ankernden Schiffe und die hoch aufragenden Kräne. Die Luft roch nach Salz, Ölschlick und Niedrigwasser.
    »Der Hafen von Tampa«, sagte Dion mit weit ausholender Geste, während er den Wagen über das Ziegelsteinpflaster lenkte. Gabelstapler mit knatternden Dieselmotoren kreuzten ihren Weg, und die Schatten von Frachtnetzen huschten über die Windschutzscheibe, während Kräne tonnenschwere Paletten über die Straße schwenkten. Das Tuten einer Dampfpfeife drang an ihre Ohren.
    Dion hielt an einem Löschplatz. Sie stiegen aus und sahen zu den Männern in der Grube hinunter, die sich gerade eine Ladung Jutesäcke mit dem Stempel ANSEMENTE, GUATEMALA vornahmen. Am Geruch erkannte Joe, dass die Säcke Kaffee- und Kakaobohnen enthielten. Nachdem die Arbeiter die Fracht im Handumdrehen gelöscht hatten, hievte der Kran Frachtnetz und Palette wieder hinauf, und die Männer verschwanden durch eine angrenzende Tür.
    Dion deutete auf die nach unten führende Leiter und stieg auf die erste Sprosse.
    »Wo willst du hin?«, fragte Joe.
    »Wirst du gleich sehen.«
    Unten sonderte der nackte Boden einen Geruch nach allem ab, was jemals unter der heißen Sonne Tampas gelöscht worden war – nach Bananen, Ananas und Getreide, Öl, Kartoffeln, Benzin, Essig, Schießpulver, verdorbenen Früchten und frisch geernteten Kaffeebohnen. Es knirschte unter ihren Füßen. Dion trat an die Betonwand gegenüber der Leiter, drückte mit der flachen Hand dagegen, und… wupp, gab die Wand plötzlich nach und den Blick frei auf eine dahinter liegende Tür. Dion klopfte zweimal und bewegte lautlos die Lippen, während er wartete. Dann klopfte er noch viermal hintereinander, und nun ertönte eine Stimme von der anderen Seite. »Wer ist da?«
    »Kamin«, sagte Dion, und gleich darauf wurde auch schon geöffnet.
    Ein Korridor wurde sichtbar, so schmal wie der Mann, der vor ihnen stand. Er trug ein Hemd, das einst wohl weiß gewesen war, ehe endlose Schweißbäche es auf immer gelblich verfärbt hatten, eine Hose aus braunem Denim, ein Halstuch und einen Cowboyhut. In seinem Gürtel steckte ein sechsschüssiger Revolver. Er nickte Dion zu und ließ sie passieren, ehe er die Wand wieder an Ort und Stelle schob.
    Der Korridor war so eng, dass Dions Schultern die Wände streiften, während er Joe vorausging. Etwa alle fünf Meter hingen, trübes Licht verbreitend, nackte Glühbirnen von der Decke, gut die Hälfte davon dunkel. Joe meinte, eine Tür am anderen Ende des Gangs zu erkennen, doch da sie ungefähr fünfhundert Meter entfernt war, konnte er sich auch irren. Sie stapften durch Schlamm und Pfützen; von der Decke tropfte es unentwegt, und Dion erklärte Joe, dass die Tunnel häufig unter Wasser standen, weshalb sie morgens schon den einen oder anderen toten Säufer gefunden hatten – es war eben nicht sonderlich ratsam, hier unten seinen Rausch auszuschlafen.
    »Ohne Scheiß?«, fragte Joe.
    »Ehrenwort. Und weißt du, was es noch schlimmer macht? Manchmal naschen die Ratten an ihnen.«
    Joe ließ den Blick über den Boden schweifen. »Ist ja widerlich.«
    Dion zuckte mit den Schultern und ging weiter voraus, während Joe sich abermals umsah. Aber weit und breit waren keine Ratten zu entdecken. Noch nicht.
    »Was ist eigentlich mit dem Geld?«, fragte Dion. »Der Beute aus Pittsfield?«
    »Habe ich gebunkert«, sagte Joe. Über sich hörte er das typische Rattern von Straßenbahnrädern, dann ein schweres Klappern, wohl von Pferdehufen.
    Dion sah über die Schulter. »Wo?«
    »Wer hat den Bullen Bescheid gesagt?«, gab Joe zurück.
    Über ihnen ertönte ein Hupkonzert, gefolgt vom Geräusch eines aufheulenden Motors.
    »Bescheid gestoßen? Was meinst du?« Dions

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