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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Chassis klang plötzlich, als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. Er und Dion verloren kein Wort darüber, dass ihnen der Arsch auf Grundeis ging, schlicht, weil es nicht nötig war. Die Angst spiegelte sich in ihren Blicken, ließ ihren Schweiß metallisch glänzen. Die meiste Zeit sahen sie starr geradeaus, nur gelegentlich warfen sie einen Blick aus dem Fenster. Als sie über die Gandy Bridge fuhren, zeichnete sich das Weiß der Küstenlinie grell gegen das tote Blau des Wassers ab. Pelikane und Reiher hockten auf den Brückengeländern. Manchmal hielten die Pelikane hoch oben mitten im Flug inne, um dann hinabzustürzen, als wären sie von einer Kugel getroffen worden. Sie tauchten in das spiegelblanke Wasser und stiegen, zappelnde Fische im Schnabel, wieder auf. Mit einem einzigen Zuschnappen verschwanden sie, egal, welcher Größe, auch schon in ihren riesigen Kehlsäcken verschwunden.
    Dion fuhr über ein Schlagloch, dann über eine Nietverbindung und ein weiteres Schlagloch. Joe schloss die Augen.
    Die Sonne atmete ihre Glut durch die Windschutzscheibe.
    Sie erreichten das Ende der Brücke, wo die asphaltierte Straße in eine einspurige Piste aus Muschelsplitt und Schotter überging, ein unebener Flickenteppich, der eine alles andere als entspannte Fahrt verhieß.
    »Äh…« Mehr bekam Dion nicht heraus.
    Sie holperten etwa einen Block die Straße entlang, bis sich der Verkehr vor ihnen staute. Am liebsten wäre Joe an Ort und Stelle aus dem Wagen gesprungen; mit aller Macht widersetzte er sich dem Drang, Dion einfach im Stich zu lassen und die Beine in die Hand zu nehmen. Wer, um Himmels willen, war so bekloppt, mit einer verdammten Bombe durch die Gegend zu kutschieren? Wer?
    Ein Irrer. Ein Lebensmüder. Jemand, der Glück und Zufriedenheit für pure Propaganda hielt. Doch Joe war einst glücklich gewesen; er wusste, was Glück bedeutete. Seine Chancen, jemals wieder etwas in der Art zu erleben, verringerten sich jedoch beträchtlich mit einem Sprengsatz auf dem Schoß, der stark genug war, um eine dreißig Tonnen schwere Maschine durch einen stählernen Schiffsrumpf zu katapultieren.
    Jedenfalls würde nichts von ihm übrigbleiben. Der Wagen, seine Klamotten – in Rauch aufgelöst. Seine dreißig Zähne würden in die Bucht fliegen wie Pennys in einen Brunnen. Mit viel Glück fand sich vielleicht irgendwo noch ein Fingerknöchel von ihm, den sie neben seinem Vater beerdigen konnten.
    Die letzte Meile war am schlimmsten. Sie ließen Gandy hinter sich und fuhren einen Feldweg hinunter, der parallel zu einer Bahnstrecke verlief; der rechte Straßenrand bröckelte in der Hitze, und der Weg war nur so von Rissen übersät. Es roch nach Schimmel und Kleingetier, das im warmen Schlamm erstickt war und vor sich hin moderte. Dann führte der Weg durch einen Mangrovenwald. Dion wich Pfützen und tiefen Löchern aus, so gut es eben ging, und nachdem sie ein paar Minuten lang durch dieses Terrain geholpert waren, erreichten sie den Schuppen von Daniel Desouza – einem echten Meister in der Kunst des Attrappenbaus.
    Er hatte einen Werkzeugkasten mit doppeltem Boden für sie präpariert. Wie er ihnen erklärte, hatte er den Kasten akribisch auf alt getrimmt, ihn so lange bearbeitet, dass er nun nicht mehr nur nach Öl, Schmierfett und Schmutz, sondern so richtig nach jahrelangem Gebrauch roch. Das Werkzeug in der Kiste war hingegen erste Klasse, alles bestens gepflegt, frisch geölt und zum Teil in Wachstuch eingeschlagen.
    Desouzas Behausung bestand aus einem einzigen Raum. Während er den Werkzeugkasten auf den Küchentisch hievte und ihnen zeigte, wie man den doppelten Boden öffnete, watschelte seine schwangere Frau an ihnen vorbei zum draußen gelegenen Donnerbalken; seine beiden Kinder spielten mit zwei aus Lumpen zusammengeflickten Puppen. Auf dem Boden lagen nackte Matratzen – die eine für die Kinder, die andere für ihre Eltern – ohne Decken oder Kissen. Ein Mischlingsköter trottete durch das Zimmer, schnupperte hier und da, Fliegen und Moskitos summten ohne Unterlass, und schließlich kam Daniel Desouza auf die glorreiche Idee, Sheldons Wunderding genauer zu begutachten. Womöglich aus reiner Neugier, vielleicht auch, weil er komplett durchgeknallt war, was aber ohnehin keine Rolle mehr spielte, da Joe, davon überzeugt, jeden Augenblick die große Reise zu seinem Schöpfer anzutreten, ihm nur noch wie gelähmt dabei zusehen konnte, wie Desouza einen Schraubenzieher in die Bombe rammte. Seine

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