In der Nacht (German Edition)
vortäuschen.«
»Ihr Mann draußen ist also Mechaniker, richtig?«
Beide nickten.
»Er kommt an Bord, um den Schaden zu beheben, legt Feuer, und schon stürmen Ihre Männer den Frachtraum mit den Waffen.«
»Exakt.«
»Gar nicht so schlecht, der Plan«, sagte Joe.
»Danke.«
»Aber eben leider auch nicht gut. Wann wollten Sie losschlagen?«
»Heute Abend«, sagte Esteban. »Um Punkt zehn. Der Mond soll auch kaum durchkommen, soweit ich gehört habe.«
»Ich würde drei Uhr nachts für idealer halten«, sagte Joe. »Um diese Zeit wird fast die gesamte Besatzung in der Koje liegen. Keine Helden, um die wir uns Sorgen machen müssten, kaum Zeugen. Sonst glaube ich kaum, dass Ihr Mann wieder von dem Schiff herunterkommt.« Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und überlegte. »Dieser Mechaniker… Ist er Kubaner?«
»Ja.«
»Wie sieht er aus?«
»Pardon?«, sagte Esteban. »Ich verstehe nicht, was –«
»Hat er eher Ihre Hautfarbe?« Joe richtete den Blick auf Graciela. »Oder ist er so dunkel wie sie?«
»Er ist ziemlich hellhäutig.«
»Er könnte also als Spanier durchgehen.«
Esteban sah Graciela, dann wieder Joe an. »Mit Sicherheit.«
»Wieso ist das wichtig?«, hakte Graciela nach.
»Sein Gesicht werden sie sich merken. Nach dem, was wir mit dem Kriegsschiff anstellen, steht er garantiert ganz oben auf allen Fahndungslisten.«
»Und was stellen wir mit dem Schiff an?«, fragte Graciela.
»Erst mal blasen wir ein ordentliches Loch hinein.«
Bei der Bombe handelte es sich keineswegs um die übliche, mit Nägeln und Unterlegscheiben gefüllte Holzkiste, die man für ein bisschen Kleingeld an der nächsten Straßenecke kaufen konnte, sondern um einen höchst raffinierten Präzisionssprengsatz – jedenfalls war ihnen das mehrmals versichert worden.
Gebaut hatte ihn ein Barkeeper, der in einem von Maso kontrollierten Speakeasy drüben in St. Petersburg hinter dem Tresen stand – ein gewisser Sheldon Boudre, der jahrelang als Bombenentschärfer bei den Marines tätig gewesen war. 1915 hatte er in Haiti während der Besetzung von Port-au-Prince wegen eines defekten Feldtelefons ein Bein verloren und war immer noch nicht darüber hinweg. Sein Sprengsatz war ein bombiges Schätzchen aus Stahl, rechteckig und etwa so groß wie ein Karton für Kinderschuhe. Er klärte Joe und Dion darüber auf, dass er es mit Kugellagern und Messingtürknäufen vollgepackt hätte – und genug Schießpulver, um einen Tunnel in das Washington Monument zu sprengen.
»Seht zu, dass ihr das Ding direkt unter der Maschine plaziert.« Sheldon schob die in braunes Papier eingeschlagene Bombe über den Tresen.
»Wir wollen nicht bloß eine Maschine in die Luft jagen«, sagte Joe. »Sondern ein Loch in den Schiffsrumpf sprengen.«
Den Blick auf die Bar gerichtet, ließ Sheldon die Zunge ein ums andere Mal über seine Schneidezähne gleiten, und Joe wurde klar, dass er den Mann beleidigt hatte. Er wartete, bis Sheldon den Blick wieder hob.
»Was glauben Sie denn, was passiert«, sagte Sheldon, »wenn eine Schiffsmaschine von der Größe eines verdammten Studebakers durch den Rumpf und in die Hillsborough Bay fliegt?«
»Wir wollen aber auch nicht gleich den ganzen Hafen in die Luft jagen«, erinnerte ihn Dion.
»Das ist ja das Schöne an meiner Kleinen.« Sheldon tätschelte das Päckchen. »Sie ist absolut zielgenau. Und sie streut auch nicht. Man sollte sich bloß nicht in ihrer direkten Nähe aufhalten, wenn sie hochgeht.«
»Wie explosiv ist, äh, sie?«, fragte Joe.
Sheldons Augen leuchteten. »Sie würde euch sogar verzeihen, wenn ihr sie mit ’nem Hammer bearbeitet.« Er strich über das braune Packpapier wie über den Rücken eines Kätzchens. »Aber wenn ihr sie in die Luft werft, braucht ihr nicht mal zu warten, bis sie landet.«
Er nickte mehrmals, wie zur Bestätigung, und während sich seine Lippen weiter lautlos bewegten, tauschten Joe und Dion einen besorgten Blick. Gleich würden sie mit der Bombe dieses Burschen nach Tampa zurückfahren – was, wenn er nicht alle Latten am Zaun hatte?
Sheldon hielt einen Zeigefinger hoch. »Da wäre noch eine Kleinigkeit.«
»Eine Kleinigkeit?«
»Bloß ein Detail.«
»Was für eins?«
Er lächelte sie entschuldigend an. »Wer die Kleine zündet, gibt besser Fersengeld.«
Von St. Petersburg nach Ybor waren es fünfundzwanzig Meilen, und Joe zählte jeden einzelnen Meter. Jede Bodenwelle, jeden Ruck, der durch den Wagen ging. Jedes Knarren des
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