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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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behielten Pier 7 im Auge. Hier reihte sich ein Silo ans andere, alle um die sechzig Fuß hoch; erst am Nachmittag war der letzte Getreidefrachter gelöscht worden. Den Nachtwächter hatten sie bestochen und ihm nochmals eingeschärft, den Cops zu erzählen, dass ihn ein paar Spanier überwältigt hätten, ehe Dion ihm zwei derbe Schwinger mit einem Totschläger verpasst hatte, damit es auch authentisch aussah.
    Graciela rauchte eine lange dünne Zigarre. Sie blies Ringe in die Luft und sah ihnen hinterher, wie sie hoch über der Pier davontrieben.
     »Wie schätzen Sie unsere Chancen ein?«
    »Ganz ehrlich?«, sagte Joe. »Vielleicht nicht gleich null, aber auf jeden Fall ziemlich mau.«
    »Aber Sie haben sich den Plan doch selbst ausgedacht.«
    »Tja, leider ist mir nichts Besseres eingefallen.«
    »Ich finde ihn gar nicht übel.«
    »Darf ich das als Kompliment verstehen?«
    Sie schüttelte den Kopf, auch wenn er meinte, den Anflug eines Lächelns erkannt zu haben. »Das war eine Feststellung. Wenn Sie gut Gitarre spielen könnten, würde ich es Ihnen auch sagen. Ich kann Sie aber trotzdem nicht leiden.«
    »Weil ich Ihnen hinterhergeglotzt habe?«
    »Weil Sie arrogant sind.«
    »Oh.«
    »Wie alle Amerikaner.«
    »Ach ja? Und was sind Kubaner?«
    »Stolz.«
    Er grinste. »Ich habe gelesen, Kubaner wären außerdem faul, jähzornig und kindisch. Und ihr Geld können sie wohl auch nicht zusammenhalten.«
    »Und das glauben Sie?«
    »Nein«, sagte er. »Ich halte vorgefasste Meinungen über bestimmte Völker oder Nationen ganz allgemein für puren Schwachsinn.«
    Sie zog an ihrer Zigarre und musterte ihn schweigend, ehe sie schließlich wieder zum Schiff hinübersah.
    Die Lichter des Hafens färbten die tiefhängenden Wolken blassrot. Jenseits des Hafenbeckens lag die Stadt schlafend im Dunst. Am fernen Horizont zeichneten dünne Blitze ein Geflecht aus weißen Adern ans Firmament. Ihr grelles Zucken brachte regenschwangere, bläulich dunkle Wolken zum Vorschein, die sich über dem Wasser zusammenzogen wie eine feindliche Armee. Nach einer Weile flog ein einmotoriges Flugzeug über sie hinweg, vier Lichtpunkte am Himmel, hundert Meter über ihnen, womöglich sogar legal unterwegs, auch wenn Joe sich das nicht recht vorstellen konnte, insbesondere nicht um drei Uhr morgens. Abgesehen davon, dass in Tampa sowieso kaum legale Geschäfte gemacht wurden.
    »Haben Sie das vorhin wirklich so gemeint? Als Sie zu Manny gesagt haben, er wäre Ihnen scheißegal?«
    Nun konnten sie ihn auch sehen. Er marschierte die Pier entlang, den Werkzeugkasten in der Hand.
    Joe stützte die Ellbogen auf die Brüstung. »Im Großen und Ganzen schon.«
    »Wie kann man nur so gleichgültig sein?«
    »Das braucht weniger Übung, als Sie glauben«, gab Joe zurück.
    An der Landebrücke wurde Manny von zwei Offizieren der Hafenpatrouille in Empfang genommen. Er hob die Arme, während der eine Uniformierte ihn abtastete und der andere den Werkzeugkasten öffnete. Er durchsuchte den obersten Einsatz, nahm ihn heraus und stellte ihn neben sich auf den Boden.
    »Wenn alles glattgeht«, sagte Graciela, »sind Sie die Nummer eins im Rumgeschäft. Der König von Tampa.«
    »Von halb Florida, um genau zu sein«, sagte Joe.
    »Sie werden ein mächtiger Mann sein.«
    »Gut möglich.«
    »Und bestimmt noch arroganter.«
    »Tja«, sagte Joe. »Könnte man meinen.«
    Der eine Offizier hörte auf, Manny zu filzen, trat dann aber zu seinem Kollegen. Gemeinsam blickten sie in den Werkzeugkasten, steckten die Köpfe zusammen und schienen irgendetwas zu beratschlagen. Der eine stützte die Hand auf den Griff seiner 45er.
    Joe sah zu Dion und Esteban hinüber. Sie wirkten wie gelähmt, während sie mit gereckten Hälsen zur Pier hinunterstarrten.
    Nun winkten sie Manny zu sich, und einer deutete in den Werkzeugkasten. Manny kniete sich hin und kramte zwei Flaschen Rum aus der Kiste.
    »Verdammter Mist«, sagte Graciela. »War das so abgesprochen?«
    »Mit mir nicht«, sagte Esteban.
    »Das hat er sich aus dem Stegreif überlegt«, sagte Joe. »Na, wunderbar. Ich fasse es einfach nicht.«
    Dion schlug frustriert gegen das Geländer.
    »Ich habe ihm doch extra noch gesagt, dass er nicht improvisieren soll«, platzte Joe heraus. »Sie waren selbst dabei, als –«
    »Es klappt«, sagte Graciela.
    Joe verengte die Augen und beobachtete, wie die beiden Uniformierten die Flaschen einsteckten und beiseitetraten.
    Manny nahm seinen Werkzeugkasten und stieg die Planke

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