In der Oase
Man wird dich am Abend vor deinem Aufbruch zu ihr bringen. Du bist entlassen.« Ich bezweifle, dass er die Abmessungen meines Gefängnisses aus Mitleid erweitert hat, dachte Ramose grimmig, als er sich entfernte. Ich soll sterben, und das weiß er. Aus Bosheit schenkt er einem Verurteilten einen letzten Blick auf all das, was man ihm nehmen wird. Aber den Plan durchkreuze ich. Ich sehe mir die Schönheiten dieses Palastes nicht mit den Augen eines wandelnden Leichnams an, sondern mit der Freude eines Menschen, der das Leben liebt. Du prahlerischer Schafhirte, verspottete er Apophis stumm. Was weißt du schon von der Seele eines Ägypters? Ich lasse mich nicht demütigen. Ich nehme, was du mir bietest, und noch mehr, und falls es unter den Göttern überhaupt Gerechtigkeit gibt, zerquetscht Kamose dich wie ein hässliches Ungeziefer, denn das bist du. Hoffentlich lebe ich so lange, dass ich mir das ansehen kann.
Er kehrte nicht in sein Zimmer zurück, sondern durchstreifte die Säle und Höfe des Palastes, ließ sich von seinen Füßen tragen, wohin sie wollten. Als er müde war, setzte er sich ins Gras eines kleinen offenen Hofes neben einen Springbrunnen und gab einem vorbeigehenden Diener kurz angebunden den Befehl, ihm Obst und Wein zu holen, dann hob er das Gesicht in die schrägen Strahlen der Nachmittagssonne und wartete. Er aß langsam, mit Genuss, suchte alsdann nach dem Badehaus und ließ sich massieren. Als der Mann fertig war, bedankte sich Ramose und bat um Wegweisung zu den Gärten.
Als er in die warme Luft des frühen Abends trat, ging die Sonne gerade unter, und die Bäume warfen lange Schatten auf die vielen Pfade, die Apophis’ Herrschaftsbereich in allen Richtungen durchzogen. Doch noch immer sangen ein paar Vögel, und verspätete Bienen summten in den Blüten, und die Laute verfolgten Ramose, während er durch die gefälligen Aruren schlenderte. Höflinge wanderten in Richtung Palast, als die Sonne tiefer sank. Sie warfen Ramose und seinem ermatteten Begleiter neugierige Blicke zu und grüßten ihn im Vorbeigehen höflich. Ramose spazierte weiter, bis er an die unebene Umfassungsmauer kam. Oben standen Soldaten, und dahinter lärmte die unsichtbare Stadt. Er drehte um, und als er den Palast wieder betrat, war es vollkommen dunkel geworden und man hatte Lampen und Fackeln entzündet.
Er lächelte wehmütig und suchte sich leere Flure. Bisweilen vertraten ihm bewaffnete Männer, die geschlossene Türen bewachten, den Weg, und dann merkte er, dass er aus Versehen in die Nähe der königlichen Gemächer oder der Schatzkammer oder der Verwaltung gekommen war, aber meistens ließ man ihn einfach durch den ausgemalten Irrgarten spazieren, das Herz von Auaris. Er kehrte sehr spät in sein Zimmer zurück, und kaum war er eingetreten, da hörte er, wie der erschöpfte Soldat seine Verantwortung einem anderen übergab. Ramose grinste stillvergnügt, legte sich hin und war auf der Stelle eingeschlafen.
Am folgenden Morgen, auf dem Weg zum Badehaus, merkte er, dass sich die Stimmung im Palast verändert hatte. Höflinge standen grüppchenweise herum und unterhielten sich erregt. Diener bewegten sich zielstrebiger. Frauen flüsterten hinter der vorgehaltenen Hand. Ramose stieg auf einen Badesockel neben einer jungen und sehr hübschen Frau, deren Leibdienerin ihr heißes Wasser über das lange schwarze Haar goss. Sie schenkte ihm ein Lächeln, ließ ohne Hemmungen den Blick über seine nackten Gliedmaßen wandern und sah ihm dann anerkennend und dreist ins Gesicht. »Ich sehe dich jetzt schon seit einigen Tagen«, sagte sie. »Du bist hier nicht Gast, sonst würdest du das private Badehaus benutzen. Bist du ein neuer Gefolgsmann?« Ramose spürte, wie sein Soldat näher trat.
»Nicht ganz«, antwortete er vorsichtig. »Ich bin so etwas wie ein Bote und werde die Gastfreundschaft des Königs nicht lange genießen.«
»Ein Jammer.« Sie stieg von ihrem Sockel und streckte die Arme aus, damit ihre Dienerin sie in ein Badetuch hüllen konnte. »Woher bist du?«, fuhr sie fort, zog dabei ihr triefend nasses Haar nach vorn und wrang es kräftig aus. »Wie ein Keftiu siehst du nicht aus. Von denen gibt es immer ein paar im Palast.« Auf einmal hielten ihre geschäftigen Hände inne. »Vielleicht bist du aus dem Süden, ja? Was für Neuigkeiten gibt es von jenseits des Deltas?« Ramose lachte.
»Du sprichst, als ob alles südlich des Deltas wilde Wüste wäre«, schalt er sie. »Hast du die Gegend noch nie
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