In der Oase
sich auf die Lippen.
»Dann hat er dich also auch nicht vorgewarnt, ja?«, sagte sie. »Es tut mir Leid, Ramose. Das war grausam von ihm.« Ramose schluckte.
»Mich vor was gewarnt?«, flüsterte er. »Warum hat dich der Herold Königin genannt?«
»Weil ich eine bin«, sagte sie knapp. »Komm, setz dich, Ramose, du schwankst ja wie ein Betrunkener. Lass dir Wein einschenken.« Hölzern gehorchte er. Seine Beine fühlten sich an, als wären sie nicht mehr mit dem übrigen Körper verbunden, und er fiel fast auf den Stuhl. Dann sah er zu, wie sie einen Krug nahm, sah zu, wie die dunkelrote Flüssigkeit in den Becher strömte, sah zu, wie sie ihm den über den Tisch zuschob. Vorsichtig hob er ihn zum Mund. Der Wein schmeckte sauer und brannte in seiner ausgedörrten Kehle.
»Erkläre mir das«, sagte er heiser. »Ich verstehe es nicht.« Sie zog sich einen anderen Stuhl heran, setzte sich und blickte ihn ernst an. Als der Wein ihn allmählich beruhigte und er sich fasste, sah er Mitleid in diesen großen, mit Kohl umrandeten Augen. Mitleid?, wiederholte er im Geist. O ihr Götter, doch kein Mitleid! Alles andere, nur das nicht!
»Ich habe mit Apophis einen Ehevertrag unterzeichnet«, sagte sie gelassen. »Ich bin jetzt Königin. Königin Tautha.« Jetzt war er sich sicher, dass es tatsächlich Mitleid gewesen war.
»Warum?«, fragte er. »Hat er dich bedroht, Tani? Hat man dir diesen Vertrag wegen Kamoses Revolte aufgezwungen? Heirat oder Tod, hat er dir nur diese Wahl gelassen? Geschah es, um sich an deinem Bruder zu rächen? Falls es sich so verhält, bedeutet es nichts. Es kann ungeschehen gemacht, übergangen werden. Ihr Götter! Wenn du wüsstest, wie der Gedanke an dich mich durch das ganze Entsetzen der letzten beiden Jahre getragen hat, wie die Erinnerungen, die ich gehegt habe, mir bei Nacht Kissen und bei Tag Schwert gewesen sind! Und du hast ihn geheiratet!« Sie hob die Hand.
»Man hat mich nicht bedroht oder gezwungen«, sagte sie leise. »Wenn ich dir das doch nur deutlich machen könnte, Ramose, dir klarmachen…« Sie verstummte und suchte nach den richtigen Worten, und er, dessen Blick noch immer dringlich an ihr hing, begriff mit wachsender Wut. »Ich bin ohne Freunde, voller Angst und mit dem Wissen hierher gekommen, was Kamose plant, und ich war mir sicher, dass man mich umbringen würde, sowie die Nachricht von Kamoses Aufstand in Auaris eintraf. Ich habe mich bemüht, nur für den Tag, für die Stunde zu leben, und war entschlossen, wenn die Zeit gekommen wäre, tapfer zu sterben. Aber er war freundlich zu mir. Mehr als freundlich. Das alles wäre nicht meine Schuld, hat er gesagt. Man könne mir die Undankbarkeit meiner Familie nicht anlasten. Als Chemmenu gefallen war, ist er in großer Sorge zu mir gekommen, weil er wusste, dass ich dich liebe, und hat gesagt, er hofft, dass du noch am Leben bist. Er hat mir Geschenke gebracht, hat mich eingeladen, ihn zu Sutechs Tempel zu begleiten, hat mir erlaubt, bei Festen zu seiner Linken zu sitzen. Er hat mich ehrenvoll behandelt, nicht wie eine Geisel. Ich war überwältigt. Er hat mir seine Zuneigung gestanden…« Jetzt hob wiederum Ramose entsetzt und vorwurfsvoll die Hand.
»Er hat dich verführt«, sagte er heftig. »Und du hast es nicht gemerkt. Er hat den besten Weg gefunden, wie er sich an Kamose rächen kann, und trotz deiner Klugheit, der Ehre, die du hochhalten wolltest, bist du ihm auf den Leim gegangen! Du hast ihm gestattet, dir einen Setiu-Namen zu geben. Du hast dich in Sutechs Tempel mitnehmen lassen.« Er schlug so heftig auf den Tisch ein, dass der Wein im Becher hüpfte. »Verflucht, Tani, du hast ihn in dein Bett gelassen! Wie konntest du? Wie konntest du nur? Du hast ihm geschenkt, was du mir versprochen hast, hast dich einem dreckigen Fremdländer hingegeben! Wo ist das ehrliche, furchtlose Mädchen geblieben, das ich vergöttert habe? Sie ist eine Setiu geworden, und ich habe sie verloren!«
»So war es nicht«, stammelte sie, doch er schnitt ihr das Wort ab.
»Ach nein?«, sagte er höhnisch. »Wie war es dann? Hast du dich in ihn verliebt wie ein blödes Bauernmädchen, oder hat niedrige Wollust dein Tun gelenkt? Wenn es der eine nicht sein konnte, dann eben ein anderer!« Er stieß sich vom Tisch ab und durchmaß den Raum hin und her, denn er konnte nicht länger still sitzen. »Ich merke, dass ich dich von Anfang an falsch eingeschätzt habe«, fuhr er bitter fort. »Du bist seicht, Tani. Und ich habe deine
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