In der Oase
gesehen?«
»Nein, weiter als bis Iunu bin ich nie gekommen. Mein Vater war zweiter Schreiber beim königlichen Viehaufseher, und das ganze Vieh des Königs grast im Delta. Außerdem«, so sagte sie achselzuckend, »was gibt es da schon zu sehen: nichts als kleine Dörfer und ein, zwei Tempel und Meile um Meile nur Felder. Sogar die soll es nicht mehr geben, seit der Fürst von Waset dort so fürchterlich gehaust hat.« Sie nahm den Kamm, den ihre Dienerin ihr reichte, und zerrte ihn durch ihre dichte Mähne, wobei sie Ramose einen Blick von der Seite zuwarf. »Ein solches Untier würde ich gern kennen lernen«, schnurrte sie. »Aber diese Gelegenheit bietet sich mir vermutlich nie. Der Palast schwirrt von der Neuigkeit, dass der König endlich sein Heer gegen Kamose schickt.« Ramose tat erstaunt.
»Das ganze Heer?«
»Nein, das nicht«, setzte sie an, »natürlich nicht das ganze Heer, sondern nur…« Ehe sie ihren Satz beendet hatte, schob sich der Soldat schon grob zwischen sie.
»Der Mann da ist ein Gefangener des Königs«, sagte er laut. »Sag ihm nichts. Geh an deine Arbeit.« Sie zog die Augenbrauen hoch und gönnte dem Mann keinen einzigen Blick.
»Wirklich?«, sagte sie völlig ungerührt. »Warum darfst du dann ungehindert in das öffentliche Badehaus gehen? Bringt man dich, sowie du sauber bist, gleich wieder in deine Zelle? Was hast du verbrochen?«
»Nichts«, versicherte ihr Ramose. »Ich bin aus dem Süden.« Auf einmal schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Falls du heute Prinzessin Tani siehst, sage ihr, dass Ramose da ist. Ramose. Man hat mir eine Begegnung mit ihr zugestanden, aber falls…« Dieses Mal packte der Soldat die junge Frau grob beim Arm und zerrte sie fort.
»Es reicht!«, bellte er. »Noch ein Wort, und ich lasse dich auch verhaften!«
»Ich kenne niemanden, der auf diesen Namen hört«, rief sie ihm über die Schulter zu, während sie zum Massageraum geschoben wurde. »Aber ich bin Hat-Anath, und wenn du ihnen entwischst, komm in meine Unterkunft! Ach, lass mich los!« Der Wachposten gab sie frei, und sie verschwand in den Dampfwolken.
Ramose ließ sich waschen, doch er war verstört. Warum wusste Hat-Anath nicht das Mindeste über Tani? Andererseits war der Palast riesig, wimmelte von Höflingen und ihren Gefolgsleuten, und vielleicht erregte eine kleine Prinzessin aus einer unbekannten Stadt tief im Süden kein Interesse. Und dann die Sache mit Apophis’ Heer. Falls vierundzwanzig Divisionen nicht das ganze Heer ausmachten, wie die junge Frau angedeutet hatte, wie viele Soldaten hatte der König dann tatsächlich zur Verfügung? Doppelt so viel? Und woher kamen sie? Ramose verwünschte den Soldaten, der ihm in die Quere gekommen war. Ein klein wenig länger, und er hätte wertvolle Informationen erhalten. Aber was nutzt mir das angesichts der Tatsache, dass ich hier nicht herauskomme und Kamose es nicht erfährt?, überlegte er. Außerdem muss er erst Pezedchu und Kethuna schlagen, ehe er sich dem Rest von Apophis’ Heer widmen kann.
Trotz seines Entschlusses, seine paar Tage im Palast in vollen Zügen zu genießen, machten ihm diese beiden ungelösten Fragen zu schaffen. Am Ende des zweiten Tages hatte er das Anwesen von einem Ende bis zum anderen durchquert, und am dritten Tag begnügte er sich damit, aus einer abgeschiedenen Ecke des Gartens, die ihm besonders gut gefiel, zum Dach zu gehen, wo er im Schatten eines Windfangs sitzen und den ganzen Palastbezirk überblicken konnte. Dazu noch einen Teil der Kasernen. Ständiger Staub zeugte für wilde Betriebsamkeit dort, das Heer bereitete sich auf den Marsch vor.
Das Dach war der Lieblingsplatz vieler Frauen, für die Matten und Polster unter ihren Sonnensegeln ausgebreitet waren. Zunächst taten sie so, als würden sie ihn übersehen. Sie schwatzten und spielten Brettspiele und arbeiteten träge an Webrahmen, webten die farbenprächtigen Stoffe, die so viele von ihnen trugen. Doch am vierten Tag begrüßten sie ihn herzlich, boten ihm Wein und Süßigkeiten an und erlaubten ihm, sich an ihrer Unterhaltung zu beteiligen. Ramose hütete seine Zunge, denn der Soldat blieb immer dicht neben ihm. Er wagte es nicht, von Tani zu sprechen.
Zum König wurde er nicht mehr befohlen. Trotzdem ließ sich Ramose am Abend des vierten Tages noch einmal waschen und zog frische Kleidung an. Er bat um einen Kosmetiker und saß fügsam da, während der Mann seine Augen bis zu den Schläfen mit Kohl umrandete und sein aufmüpfiges
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