In der Oase
umrandeten Auge, doch zwischen ihm und der Vision dräute ein menschlicher Schatten. Er wollte seinem Bruder etwas zurufen, ihn warnen, aber er war zu müde. Mit halb geschlossenen Augen sah er den Schatten kleiner werden, sein Arm hob sich, die behandschuhte Hand schwang eine Holzkeule, und dann stand er auf der Schwelle des Gerichtssaals und derlei Nichtigkeiten hatten keine Bedeutung mehr.
Siebzehntes Kapitel
Aahmes-nofretari war verstört. Während sie durch die verschatteten Flure des Hauses eilte, versuchte sie, Dinge, die dort im Dunkel lagen, tote Dinge, nicht zu sehen, doch bisweilen kamen sie ihr alle viere von sich gestreckt in die Quere.
Beim Eingang zum Frauenflügel lagen die beiden Wachposten übereinander, als umarmten sie sich. Der jungen Frau schauderte, aber sie stürzte daran vorbei. Der Gang dahinter war, den Göttern sei Dank, leer und sie war erleichtert, weil die Haushofmeister Uni und Kares, die sich zur Nacht immer in ihre eigenen Unterkünfte im Dienstbotenflügel zurückzogen, vermutlich in Sicherheit waren. Gegenüber der Tür ihrer Mutter brannte noch eine einzige Fackel. Aahmes-nofretari fiel fast in Aahoteps Schlafgemach. Deren Dienerin schoss hoch und Aahotep setzte sich auf. »Mutter, zieh dich auf der Stelle an und komm mit in Großmutters Räume«, sagte Aahmes-nofretari. Sie wartete nicht ab, ob man sie auch richtig verstanden hatte, sondern rannte die kurze Entfernung zu Tetischeris Gemächern und trat ein.
Tetischeri hatte ein großes Vorzimmer, in dem sie Gäste empfing und in das sie sich zum Lesen oder Nachdenken zurückzog, wenn sie allein sein wollte. Es war ein geräumiges, gut möbliertes Zimmer. Wie viele Male war Aahmes-nofretari herbefohlen und ausgescholten worden, hatte ihre Lektionen aufsagen oder sich Vorhaltungen anhören müssen. Von hier aus regierte ihre Großmutter den gesamten Haushalt mit strenger Hand. Die Beratungen letztens waren für Aahmes-nofretari sehr hilfreich gewesen, sie scheute nicht mehr wie sonst zurück, wenn die Tür aufging und sie eingelassen wurde, doch selbst jetzt noch, in der allerhöchsten Not, verspürte sie flüchtig Angst, die alte Angst der Heranwachsenden. »Ich habe nicht gehört, dass du angeklopft hast, Prinzessin«, sagte Isis jetzt. Als Antwort griff Aahmes-nofretari zu einer langen Kerze, hielt sie an die eine brennende Lampe und zündete damit die größeren Lampen hinten im Raum an.
»Weck meine Großmutter auf, sag ihr, ich bin hier und sie soll sich schnell anziehen«, befahl sie. »Keine Fragen, Isis. Beeil dich.« Die Dienerin verschwand durch die Tür, die zu Tetischeris innerem Heiligtum führte, und Aahmes-nofretari fing an zu zittern. Ihre Füße hatten dunkelbraune Abdrücke auf dem makellos sauberen Fußboden hinterlassen. Sie blickte nach unten und sah, dass das trocknende Blut zwischen ihren Zehen verkrustete und einen Ring um ihre Knöchel bildete. Angeekelt blickte sie sich nach Wasser um, hielt jedoch inne. Sie sind aufgrund ihrer Treue gestorben, dachte sie. Ihr Blut beschmutzt mich nicht. Wenn ich es sofort abwasche, mache ich ihr Opfer zunichte.
Draußen auf dem Flur wurde es laut und das Herz stieg ihr in die Kehle, doch es war nur ihre Mutter. Aahotep band sich im Gehen einen Gürtel um ihr blaues Hemdkleid. Ihre Bewegungen waren so gemessen und anmutig wie eh und je, doch ihr Blick wanderte besorgt über ihre Tochter und blieb an den schmutzigen Füßen der jungen Frau hängen. »Das ist ja Blut!«, sagte sie laut. »Ist es deins? Bist du krank? Wo sind die Kinder? Wo ist Kamose? Ist er hier? Du hast alles dreckig gemacht, Aahmes-nofretari, du solltest dich sofort waschen lassen.« Aahmes-nofretari gab keine Antwort. Sie wusste, ihre Mutter würde den Schreck gleich überwunden haben und, ja, Aahotep blickte schon nicht mehr so begriffsstutzig. »Ihr Götter«, hauchte sie. »Was ist geschehen?« Genau in diesem Augenblick trat Tetischeri mit grauem, zerzaustem Haar und grimmiger Miene in den Lampenschein.
»Ich habe gerade von frischen Feigen und einem Ring geträumt, den ich vor vielen Jahren verloren habe«, sagte sie. »Möglicherweise gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Träumen, aber das werde ich nun nie erfahren. Was tut ihr hier?« Sie blickte starr auf die Füße ihrer Großtochter, dann verschränkte sie langsam die Arme. Auf Aahmes-nofretari wirkte das, als wollte sie sich schützen. »Bist du verletzt?«, fragte sie. Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Dann rede schnell.
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