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In der Oase

In der Oase

Titel: In der Oase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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flüsterte sein Selbsterhaltungstrieb. Du weißt gar nichts, jedenfalls nichts Genaues. Nur weil Ahmose vielleicht noch nicht mit durchschnittener Kehle im Fluss treibt, setzt du dein Leben aufs Spiel. Wenn du zu den Kasernen rennst, kannst du wenigstens die Frauen schützen und erneut den Oberbefehl übernehmen. Geh zurück, lauf ums Haus herum und zu den Kasernen. Da sie dich und Ahmose nicht gefunden haben, zögern sie möglicherweise, wissen nicht, was sie tun sollen. Die Götter geben dir die Möglichkeit, dein Leben zu retten und als Sieger aus diesem Chaos hervorzugehen. Du musst nur umkehren und laufen. Durchaus möglich, dass Ahmose länger auf dem Fluss bleibt und mit dem Wurfstock Enten jagt, ehe er nach Haus kommt. Bis dahin könnte alles vorbei sein.
    Amun, hilf mir, flehte Kamose, während er wie angewurzelt dastand. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie ich auch immer entscheide, es bedeutet Tod. Versuche ich, Ahmose zu warnen, oder versuche ich, meine Hauptleute zu wecken? Und vergiss nicht Ramose und Anchmahor. Was ist, wenn Ramose den Fürsten gefunden hat und beide den gleichen Gedanken haben wie ich? Was ist, wenn sie in die Kasernen gehen? Anchmahor ist meinen Soldaten wohl bekannt. Oder vielleicht, vielleicht haben sie über den Fluss gesetzt und wecken Hor-aha und die Medjai. Das hätten die Soldaten vor dem Hauseingang tun sollen. Wieso bin ich nicht darauf gekommen? Du bist auf überhaupt nichts gekommen, schalt er sich. Dein Hirn hat vor lauter Angst um die Sicherheit deiner Frauen nicht gearbeitet.
    Du hast noch eine dritte Möglichkeit, kam eine andere Stimme dazwischen, weicher, verführerischer als die anderen. Du könntest zu den Kindern in die Wüste gehen, sie zum Tempel führen und von Amunmose Asyl fordern. Schließlich ist Ahmose-onch der rechtmäßige Erbe der Göttlichkeit, oder nicht? Falls Ahmose bereits tot ist und deine Stunden gezählt sind, ist der Junge alles, was von den stolzen Taos geblieben ist. Er richtete sich auf. Mit einem Blick bemerkte er das rasch zunehmende graue Licht, das den unmittelbar bevorstehenden Aufgang der Sonne am östlichen Horizont ankündigte. Doch dann musste er lächeln. Ich bin vielleicht ein Dummkopf, aber kein Feigling. Ich bin der Sohn meines Vaters. Mit unserem großen Traum ist es vorbei, aber in kommenden Jahren wird man sich daran erinnern und ihn wieder aufgreifen. Vielleicht Ahmose-onch. Wer weiß? Ich muss meinen Bruder retten. Er tat einen Schritt auf dem Weg zum Fluss. Noch nie war ihm etwas so schwer gefallen, doch der zweite war schon leichter. So schlich er sich in der zunehmenden Morgenröte über das Gras.
    Er hatte erwartet, dass sich Soldaten im Gebüsch dicht bei der Bootstreppe verbargen, doch er suchte das Unterholz zu beiden Seiten des Weges vergeblich nach ihnen ab, dann legte er sich bäuchlings hinter einen Busch und überprüfte die beschaulich daliegende Steintreppe, an die das Wasser gemächlich plätscherte, aber er sah niemanden. Dann haben sie das Heer schon unter Kontrolle, dachte er niedergeschlagen. Er zog sich zurück unter das Weinspalier, drückte sich zwischen die rauen, dunklen Weinblätter, damit man ihn vom Haus nicht sehen konnte, und wartete geduldig.
    Der Morgenchor hatte jetzt voll eingesetzt, alle Vögel zwitscherten melodisch. Kamose wusste, dass man im Tempel gerade die Lobeshymne sang. Natürlich konnte er sie nicht hören, doch jeden Morgen wurde Res Geburt mit dankbarem Lob für Leben, Gesundheit und die geordnete Schönheit der Maat gepriesen. Inzwischen lag sein Schatten auf dem Kiesweg, dehnte sich blass und überlang zum Fluss. Eine Eidechse überquerte ihn mit zuckendem Schwanz, ihre winzigen, zierlichen Krallen kratzten unhörbar, dann verschwand sie im ungepflegten Rasen. Auf einmal wurde das Licht um Kamose golden und da wusste er, Re hatte den Rand der Welt berührt.
    Zaghaft begann er zu hoffen, dass Ahmose wirklich beschlossen hatte, auf dem Wasser zu bleiben und Enten zu jagen, doch dann hörte er das Geräusch von Riemen in Wasser und laut und fröhlich die Stimme seines Bruders. Jemand antwortete ihm. Holz knarrte und Schritte erklangen. Behek bellte. Kamose verließ den Schutz des Spaliers und fing an zu laufen.
    Ahmose hatte zwei Leibwachen dabei. Einer war auf eine Stufe unter Wasser gesprungen und vertäute das Boot. Der andere stand bereits oben auf dem gepflasterten Platz und blickte wie gewohnt in die Runde. Ahmose kam nach ihm herausgeklettert, ein Netz mit silbernen

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