In der Oase
wie die Sänfte nach Norden abbog, und wurde sanft zur Erde gelassen. Sie wartete, bis Isis mit dem Sonnenschirm zur Stelle war, dann stieg sie aus, blinzelte unter dem jähen Aufprall des harten Lichtes und schritt auf den Tempel zu. Zu ihrer Linken briet die Kapelle des Königs Osiris Senwosret in der Sonne, und weiter hinten, zu ihrer Rechten, ragten die Tempelsäulen kahl in den Himmel. Hinter ihnen lag der heilige See, ein gefälliges steinernes Rechteck, in dem sich das leuchtende Blau des Himmels spiegelte. Amuns Bezirk eröffnete sich unmittelbar am Ende des gepflasterten Weges, und als sie sich ihm näherte, konnte Tetischeri das Klicken von Fingerzimbeln und die zum Gesang erhobenen Stimmen der Priester hören. Die Morgenandacht ging zu Ende. Amun war gewaschen, mit Weihrauch umwölkt und gespeist worden. Man hatte ihm Blumen, Wein und Duftöl dargereicht und seine Majestät angebetet.
Beim Betreten des Hofes blieb Tetischeri stehen. Amunmose hatte gerade die Türen zum Heiligtum geschlossen und verriegelt und brachte jetzt das Siegel an, das bis zur Abendandacht unangetastet bleiben würde. Als er sich umdrehte, bemerkte er sie, verbeugte sich und kam rasch zu ihr, wobei er das Leopardenfell von der Schulter nahm und es einem Tempeldiener übergab, der es ehrfürchtig forttrug. »Sei gegrüßt, Amunmose«, sagte Tetischeri. »Ich bin hier, weil ich mir den Schatz ansehen möchte, den mein Großsohn mit nach Hause gebracht hat.« Er erwiderte ihr Lächeln und wies auf die Lagerräume und Priesterzellen, die die Außenmauer des Tempels säumten.
»Ich freue mich, dich zu sehen, Majestät«, erwiderte er munter. »Die Güter sind aufgelistet und geordnet. Seine Majestät hat sich Amun gegenüber höchst großzügig gezeigt, und ich bin ihm dankbar.«
»Seine Majestät weiß, wie viel er Amuns Macht und der Treue seiner Priester verdankt«, antwortete Tetischeri, während sie zusammen den Hof überquerten. »Du hast Kamose weitaus mehr als dein Vertrauen geschenkt, Amunmose, er betrachtet dich als Freund.«
»Wenn Seine Majestät Ägypten von den Fremdländern befreit hat, will er Waset zum Mittelpunkt der Erde machen und Amun zum König der Götter erheben«, meinte Amunmose. »Wir leben in schweren Zeiten. Jeder von uns ist aufgerufen zu prüfen, wem seine Treue gelten soll.« Er zögerte, holte Luft, wollte weiterreden, zögerte erneut, und als sie die Tür des Lagerraums erreichten, bat sie ein Tempelwärter unter Verbeugungen in die angenehme Kühle, und da blickte er ihr in die Augen. Sie sah, dass er nicht recht mit der Sprache herauswollte, und fuhr ihn an. »Also, Amunmose, was ist?«
»Die Vorzeichen, Majestät«, platzte er heraus. »Sie sind seit der Heimkehr Seiner Majestät nicht gut gewesen. Das Blut des Bullen, den ich zur Danksagung geopfert habe, war schwarz und hat gestunken. Und die Tauben waren innen verfault. Ich übertreibe nicht.«
»Natürlich nicht!« Tetischeri starrte ihn blicklos an. »Wurde für Kamose direkt geopfert oder aus Dankbarkeit für die Fortschritte in seinem Krieg?«
»Wir haben nur für Seine Majestät geopfert, als Geschenk an Amun, weil er ihn behütet hat. Ich bange um sein Leben, Tetischeri, dennoch erfreut er sich guter Gesundheit, das Heer gedeiht, und beinahe ganz Ägypten ist wieder in der Hand deiner göttlichen Familie. Ich verstehe es nicht, aber ich mache mir Sorgen. Was haben die Götter beschlossen? Womit hat er ihnen missfallen? Das Schicksal Ägyptens entscheidet sich an der Person deines Enkels. Ist es den Göttern gleichgültig?«
»Du bist der Hohe Priester! Du solltest es wissen!«, entgegnete Tetischeri harsch und vergaß in ihrer panischen Angst, ihn mit Namen anzureden. »Warum erzählt man mir erst jetzt davon? Kamose ist knapp eine Woche zu Hause!«
»Vergib mir«, sagte Amunmose zaghaft. »Ich wollte dich nicht vor der Zeit beunruhigen. Zuerst war es der Bulle, und am darauf folgenden Tag habe ich die Tauben geopfert, weil ich sichergehen wollte, dass ich das erste Opfer richtig gedeutet hatte. Als es sich bestätigte, habe ich das Orakel befragt.« Tetischeri hätte ihn am liebsten geschüttelt. Seine sonst so offene und arglose Miene drückte halb Unschlüssigkeit und halb Angst aus, und er spielte aufgeregt an den bauschigen Ärmeln seines Gewandes herum.
»Und was«, sagte sie nachdrücklich und mit zusammengebissenen Zähnen, »hat das Orakel gesagt?« Seine Schultern sackten und er rang sich ein bekümmertes Lächeln
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