In der Oase
Gemächer und leeren Sockel stimmten sie zornig und betrübt zugleich, erinnerten sie daran, wie tief diese berühmte Familie gesunken war und wie gern ihr Sohn auf dem schadhaften Dach nachgedacht hatte, wo Apophis’ langer Arm ihn am Ende erreicht und vernichtet hatte. Sie betrat den Empfangssaal.
In dem riesigen Raum herrschte ständig Düsternis. Schritte hallten, Geflüster wurde zu hundert Geisterstimmen verstärkt, und überall auf dem Fußboden lauerten Fallen, zerbrochene Steine und halbverborgene Löcher, so als trauerte der Palast um seine alten Bewohner und wollte jetzige festhalten. Tetischeri schürzte ihr Gewand, richtete den Blick auf ihre Füße in den Sandalen und ging vorsichtig an der breiten Estrade vorbei, auf der einst der Horusthron gestanden hatte, alsdann ertastete sie sich den Weg durch die hinteren Flure, bis sie zu einer Öffnung kam, wo früher eine schwere Flügeltür aus Elektrum zu den Frauengemächern geführt hatte. Hier fielen Sonnenstrahlen durch noch heile Fenster oben unter der Decke, sodass es ihr nicht schwer fiel, die Treppe zu finden, die aufs Dach führte.
Sie traf Kamose an, wo sie ihn vermutet hatte, er saß mit dem Rücken an dem zerstörten Windfänger, hatte die Knie angezogen und hielt sie mit den Armen umfasst. Sie nahm Platz, und ein Weilchen saßen sie so in geselligem Schweigen, beide beobachteten, wie die ersten Abendschatten auf dem Dach länger wurden, bis Tetischeri sagte: »Warum, glaubst du, hat Apophis deine Herausforderung nicht angenommen, Kamose? Warum hat er nicht reagiert?« Er atmete tief aus und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Gewiss hat er genug Soldaten in Auaris, die uns hätten bekämpfen und vielleicht sogar schlagen können. Für mich gibt es für diese Verzögerung zwei Gründe. Der erste ist der Mann selbst. Er ist nicht nur vorsichtig, sondern auch ungemein selbstbewusst. Vorsichtig insofern, dass er nichts aufs Spiel setzt. Selbstbewusst, weil seine Vorfahren seit vielen Hentis an der Macht sind und ihm diese Friedensjahre vererbt haben. Weder er noch sein Vater hatten Grund, zum Schwert zu greifen, und Apophis hat sich nicht einmal bemüßigt gefühlt, ein funktionierendes Spionagenetz aufzubauen. Er hat sich völlig auf gelegentliche Informationen von Edelleuten wie Teti verlassen. Der zweite Grund leuchtet auch ein. Er glaubt, dass wir uns durch die Warterei schlicht erschöpfen und am Ende aufgeben und abziehen. Dann kann er seine Soldaten ohne Angst vor Verlusten auf uns hetzen.«
»Ja, das könnte es sein«, sagte Tetischeri und freute sich, dass er zu dem gleichen Schluss gekommen war wie sie. »Aber natürlich gibst du nicht auf. Hast du schon Pläne für den Sommer?« Sie warf ihm einen Blick zu und merkte, dass er frostig lächelte.
»Ich kann nichts weiter tun als die Belagerung fortsetzen, ihn tagtäglich reizen und hoffen, dass ihm das lästig wird, er die Tore öffnet und sein Heer loslässt«, sagte er.
»Und ist Ahmose deiner Meinung?« Sie stellte diese Frage zögernd, und da wurde sein Lächeln zum harschen, humorlosen Auflachen.
»Ahmose ist eher dafür, dass wir uns von Auaris zurückziehen und stattdessen Het nefer Apu befestigen«, sagte er bitter. »Er will es zu unserer nördlichen Grenze machen, dort auf Dauer Truppen stationieren und Apophis daran hindern, nach Süden vorzudringen. So wie er sich das vorstellt, soll ich mich damit begnügen, über ein immer noch geteiltes, ein immer noch von den Füßen des Schafhirten besudeltes Ägypten zu herrschen. Damit würde er alles, was ich getan habe, zunichte machen!«
Tetischeri zögerte, ehe sie sprach, sie war sich bewusst, dass sie einen dunklen Ort betrat, dass ein falsches Wort ihr die Tür vor der Nase zuschlagen konnte. »Es tut mir Leid, dass Ahmose eine andere Politik verfolgen möchte«, fing sie vorsichtig an. »Ich fühle wie du. Ägypten ist erst rein, wenn die Setius über unsere Grenzen getrieben sind. Andererseits glaube ich, dass auch Ahmose noch immer die volle Maat zurückhaben möchte. Er ist nur geduldiger als wir. Er hat Angst, wir könnten zu voreilig handeln und damit letztlich einen Fehlschlag riskieren. Warum nicht in Het nefer Apu eine Festung bauen, Kamose, ganz gleich, wie du das Problem Auaris angehst? Damit sicherst du den Weg nach Süden tatsächlich.«
»Angst, ja«, fiel ihr Kamose heftig ins Wort, und Tetischeri sah, dass er zu zittern anfing. »Er hat Angst. Er fürchtet sich vor der
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