In der Oase
Tetischeri schluckte an einem Kloß in ihrem Hals.
»Das Abendessen verspätet sich«, sagte sie schroff.
Sechstes Kapitel
Zwölf Tage später, am neunten Tag im Monat Tybi, versammelte sich die Familie am Kopf der Bootstreppe zum Lebewohl. Es war ein kühler Frühlingsmorgen, der Fluss strömte schnell, und eine kräftige Brise schüttelte die Bäume und peitschte über den Nil. Schiffe, beladen mit aufgeregten und laut schwatzenden Medjai, schaukelten und dümpelten zwischen den Ufern. Das Schiff der Brüder mit seiner wild flatternden blauweißen königlichen Flagge und seinem Bug, der am Pfahl schrammte, an dem es vertäut lag, schien Kamoses innere Ungeduld zu spiegeln, mit der er den Aufbruch herbeisehnte. Er stand da, Ahmose neben sich und hinter sich Anchmahor und die Getreuen des Königs, und musterte die Gesichter seiner Lieben und die der Priester und Diener, die auch gekommen waren, um ihm alles Gute zu wünschen, während die Medjai hinter ihm lachten und in ihrer eigenen fremdartigen Sprache schrien und das Gerumpel und Gefluche der Männer, die im letzten Augenblick noch Vorräte verluden, von dem stürmischen Wind fortgeblasen wurden.
Bereits die Wintermonate hatten etwas Unwirkliches gehabt. Da war der Traum von der Heimkehr gewesen, ein Schmerz, der mit jeder Meile stärker geworden war, die sie sich von Waset entfernten, und der Freudentaumel, als endlich die vertrauten und geliebten Umrisse seines Heims in Sicht kamen. Doch nach den Umarmungen und den tränenreichen Begrüßungen, nach dem Probieren des heimischen Weins und der heimischen Kost, nach der seligen Entspannung auf dem eigenen Lager war er in einen weniger reinen Traum geraten. Die Dämonen, die er durch eine blutige Tat und eine kräftezehrende Entscheidung nach der anderen im Griff gehabt hatte, waren an dem nicht mehr benötigten Wachposten vorbeigeschlüpft und wirbelten nun ungehindert durch sein leeres Hirn. Das kannte er.
Doch allmählich langweilten sich die Dämonen und zogen sich ins Dunkel seiner Albträume zurück, aber als der Monat Choiak begann, war es zu spät, die jauchzende Freude jenes Tages erneut zu entdecken. Folglich stellte er fest, dass er den Traum durch ein Trugbild ersetzt hatte. Die vier Monate in der Geborgenheit seines Heims erschienen ihm nun wie ein Wachtraum.
Da standen seine Frauen, seine Großmutter, Mutter und Schwester, und der ungestüme Wind drückte ihnen das Leinen an die Beine, ihre Blicke ruhten auf ihm, hier beklommen, da störrisch-entschlossen und dort traurig-liebevoll, doch sie gehörten in eine Welt, in der er kein Bleiberecht mehr hatte, und überdies in eine Welt, die er vor langer Zeit verlassen hatte. Er hatte die Rückkehr versucht, war jedoch ein Fremdling geblieben.
Ahmose verspürte nichts dergleichen, das wusste er, aber Ahmoses Stärke lag in seiner Fähigkeit, sich völlig dem Augenblick zu überlassen. Wenn er gezwungen wurde, darüber nachzudenken, dann aus praktischen Gründen. Er würde mit glücklichen Erinnerungen an die Stunden mit Aahmes-nofretari nach Norden fahren, würde sich auf die Vaterschaft freuen und sich einen guten Feldzug erhoffen, doch er ließ sich von solchen Gefühlen nicht übermannen. Er würde tief und fest schlafen, wo auch immer er sich befand, dankbar essen und trinken, was man ihm vorsetzte, und mit Gleichmut an die vorliegenden Aufgaben gehen. Ich beneide ihn, dachte Kamose, als er zu seiner Mutter ging und ihr einen Kuss gab. Ich möchte nicht sein wie er, aber ich beneide ihn.
Aahotep duftete nach Lotosöl und ihre vollen Lippen fühlten sich weich an. Mit einer Hand hielt sie sich das windzerzauste Haar fest, mit der anderen streichelte sie seine Wange. »Mögen deine Sohlen festen Tritt finden, Majestät«, sagte sie, als er sich ihr entzog. »Falls du durch ein Gotteswunder eine Nachricht an Tani durchbekommst, sag ihr, ich liebe sie und bete jeden Tag, dass sie wohlbehalten ist.« Er nickte und drehte sich zu Tetischeri um.
»Nun, Großmutter«, sagte er lächelnd. »Dieses Mal leidet unser Abschied nicht unter der Ungewissheit des vergangenen Jahres. Wir müssen nur noch das Delta säubern.« Sie erwiderte sein Lächeln nicht, sondern musterte ihn mit ausdruckslosen Augen in einem runzligen, pergamentenen Gesicht.
»Ich kenne deine Unrast«, sagte sie. »So bin ich auch. Aber handle nicht voreilig, Kamose. Die Geduld der Maat ist ewig. Schick mir regelmäßig Rollen. Pass auf dich auf. Behalte Hor-Aha im Auge.« Sie breitete
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