In der Oase
die beringten Arme aus. »Erfülle den Willen Amuns.« Auf einmal war es ihm zuwider, ihr altes Fleisch an seinem zu spüren, wieso, das wusste er auch nicht. Ich bin bereits mit dem Makel des Todes behaftet, dachte er grimmig. Tetischeris Lebenswille trotz ihres hohen Alters sollte Arznei für mich sein, nicht Gift. Sie siegt über jedes Zeichen bevorstehender Auflösung. Er nahm sie in die Arme und drückte ihre leichten Knochen fest an sich, doch der Impuls konnte einen flüchtigen Widerwillen nicht unterdrücken.
»Entziehe mir nicht deine Gunst, Großmutter«, sagte er dringlich, schuldbewusst. »Wir haben uns doch immer gut verstanden. Ich wäre niedergeschmettert, wenn das anders würde.«
»Meine Liebe zu dir vergeht nie«, antwortete sie und reckte sich. »Aber Ägypten kommt an erster Stelle. Ich habe vor, so lange zu leben, bis ich dich den Horusthron besteigen sehe, o Starker Stier, also pass auf, sei wachsam und verhalte dich umsichtig.«
»Du hörst dich schon an wie Ahmose«, gab er halb im Spaß zurück. Sie musterte ihn noch immer sachlich und mit schmalem Blick.
»Wenn du meinen Rat oder übrigens den von jemand anders hättest haben wollen, du hättest darum gebeten«, sagte sie bissig. »Aber du weißt, was du im Delta tun willst. Sei vorsichtig, Kamose. Der brüchige Ast bricht leichter als weiches Holz in vollem Saft.« Und wer ist hier ein gutes Beispiel für einen brüchigen Ast?, dachte er bei sich. Niemand ist unbeugsamer als du, liebe Großmutter, dein Rückgrat ist so aufrecht wie ein Djed-Pfeiler und dein Wille so unerbittlich wie Stein.
Hektische Geschäftigkeit am Rand seines Gesichtsfeldes enthob ihn einer Antwort, und als er sich umdrehte, sah er Amunmose in voller Amtstracht nahen, flankiert von Tempeldienern, die Weihrauchbehälter vor sich hertrugen. Falls Myrrhe verbrannt wurde, so merkte man das nicht, denn der duftende Rauch wurde vom Wind verweht. Sofort verneigte sich die Familie und wartete ehrerbietig, während Amunmose seine Segens-und Abschiedsgesänge anstimmte und Blut und Milch auf das Pflaster strömten, und als er geendet hatte, fragte Tetischeri ihn, was das Omen aus den Eingeweiden des geopferten Bullen ausgesagt hätte.
»Das Tier war vollkommen gesund«, versicherte ihr der Hohe Priester. »Herz, Leber, Lunge, allesamt ohne Krankheitszeichen. Das Blut hat auf dem Boden eine vollendete Karte der Nebenflüsse des Deltas gebildet, und der erste Fleck, der getrocknet war, war auch der größte. Er ist dorthin gefallen, wo sich Auaris befinden dürfte. Du kannst vertrauensvoll gen Norden ziehen, Majestät.«
»Sei bedankt, Amunmose. Gibt es ein mündliches Orakel?« Amunmose warf Tetischeri einen raschen, fast unmerklichen Blick zu, der Kamose jedoch nicht entging. Was hat das zu bedeuten, dachte er erstaunt. Eine geheime Absprache zwischen meiner Großmutter und meinem Freund? Hat Amun Worte gesprochen, die ich nicht hören soll, oder, schlimmer noch, Worte, die mich in Verzweiflung stürzen würden? Er trat auf sie zu und packte den Hohen Priester beim Arm. »Antworte mir, sonst klage ich dich der Gotteslästerung an«, forderte er. »Wenn der Gott etwas über mich prophezeit hat, dann habe ich als sein erwählter Sohn ein Recht darauf, es zu erfahren! Gibt es eine Voraussage für den Feldzug dieses Jahres?« Wieder dieser stumme Austausch zwischen Großmutter und Hohem Priester, dieses Mal erleichtert, und der ratlose Kamose merkte, dass er die falsche Frage gestellt hatte. Na schön, was dann?, dachte er verblüfft und besorgt. Amunmose reckte die Schultern, und bei dieser Bewegung schien der Leopardenkopf am Ende des Fells, das sich der Priester über die Schulter gelegt hatte, Kamose anzufauchen.
»Nein, Majestät«, sagte Amunmose. »Amun hat sich nicht unmittelbar zum Erfolg des diesjährigen Feldzugs geäußert. Abgesehen natürlich von dem prächtigen Omen aus dem Opfer.« Er schnipste mit den Fingern, und einer der jungen Tempeldiener näherte sich schüchtern und reichte ihm ein kleines, in Leinen gewickeltes Päckchen. »Ich habe ein Geschenk für dich von Amuns Handwerkern«, fuhr er fort, nahm das Bündel entgegen und gab es an Kamose weiter. »Das ist aus dem Gold und dem Lapislazuli gemacht worden, das du erobert und dem Gott zur Verwendung zugeteilt hast. Er ist dankbar.« Neugierig wickelte Kamose die Lagen aus dünnem Stoff ab. In dem Nest lag ein viereckiger militärischer Schmuck aus lauterem Gold. Das Quadrat umschloss Kamoses Namen in
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