In der Oase
die er in seinen wachen Stunden schon lange nicht mehr zuließ, war sie nicht zu fassen.
In Aabtu hielten er und Ahmose an und huldigten Osiris und Chentiamentiu und machten Anchmahors Gemahlin ihre Aufwartung. Kamose gab dem Befehlshaber der Getreuen eine Nacht und den größten Teil des kommenden Tages frei, ehe sie nach Achmin ablegten, und dann genossen sie wieder das angenehm gleichförmige Leben auf dem Fluss.
Qes kam näher und wurde ohne innerliches Zittern passiert. Kamose wollte es so scheinen, als seien die Geister jenes tragischen Ortes im letzten Jahr ausgetrieben worden, als seine Flotte mit angehaltenem Atem und stumm an dem Weg vorbeigekrochen war, der vom Dorf zum Fluss führte, und er den Kopf noch voll von Bildern seines Vaters, der Hitze und der Verzweiflung von Seqenenres verlorener Schlacht gehabt hatte. Jetzt lag alles unschuldig schimmernd im hellen Morgensonnenschein, ein staubiger Weg, der den Reisenden aufforderte, abzubiegen und ihm zu den wilden Felsen und den sich darunter drängenden Häusern zu folgen. »Sieht friedlich aus, wie?«, bemerkte Ahmose, als sie, an der Reling stehend, Qes verschwinden sahen. Er drehte sich um und blickte Kamose an. »Als Nächstes kommt Daschlut«, sagte er. »Von da an werden wir uns das Ufer nicht mehr gern ansehen, Kamose. Der Anblick wird nicht mehr so lieblich sein. Vielleicht möchtest du mit mir in der Kabine sitzen, und wir unterhalten uns darüber, wie du vorgehen und was du den Fürsten sagen willst, die in der Oase auf uns warten.«
»Ja, das müssen wir wohl«, meinte auch Kamose. »Aber es gibt nicht viel zu bereden. Ziehen wir mit dem Heer bis dicht an Auaris heran, oder bleiben wir in der Oase, bis wir uns einen wirksameren Siegesplan ausgedacht haben?«
»Haben wir eine andere Wahl, als erneut zu belagern?«, fragte Ahmose. »Und dieses Mal sollten wir dafür sorgen, dass wir Spione in der Stadt haben, die uns Informationen liefern.« Er berührte Kamoses Arm. »Ramose wäre dafür am besten geeignet. Er ist klug und einfallsreich. Er ist mit seinem Vater schon in Auaris gewesen. Und er würde alles tun, um in Tanis Nähe zu kommen.« Sein Blick kreuzte sich mit Kamoses. Ahmose musterte ihn kühl.
»Du meinst, Ramose wäre das gegebene Werkzeug«, sagte Kamose nachdenklich. »Aber, Ahmose, können wir ihm vertrauen? Wir haben seinen Vater umgebracht, ihn von seiner Mutter getrennt, sein Erbe Meketra gegeben. Er ist ein lauterer Mensch, aber wie weit darf man ihn treiben? Außerdem«, und dabei blickte er zu einem Palmenhain hinüber, der in der Brise erschauerte, »ist Ramose mein Freund.«
»Umso mehr Grund, ihn zu verwenden«, drängte Ahmose. »Oder ihn dazu zu bringen. Die Zuneigung zwischen euch beiden hat eine lange Geschichte, Kamose. Denk an Hor-Aha.« Seine Augen ließen von seinem Bruder ab und kehrten zum Ufer zurück. »Du hast ihn zum Fürsten gemacht. Du hast ihn über die anderen Fürsten gestellt, obwohl sie ihn wegen seiner Fähigkeiten scheel ansehen. Jedenfalls hast du es so begründet. Mir sagst du, es geht dabei um Treue. Du bist so skrupellos, dass du Treue mit Gefahr belohnst, schreckst aber bei Freundschaft vor dieser Probe zurück. Ist Treue etwa weniger bewundernswert als Freundschaft?« Kamoses Kopf fuhr herum, doch Ahmose wollte ihn nicht ansehen. Sein Blick hing noch immer an der lieblichen Aussicht, die vorbeiglitt. »Sind wir nicht alle Mahlgut unter dem großen Mühlstein deines unerbittlichen Willens? Warum nicht auch Ramose?«
Weil mich Ramose trotz allem liebt, wollte Kamose sagen. Weil die Männer um mich herum mir Gehorsam und Achtung entgegenbringen, ich jedoch ihre Herzen nicht kenne, nicht einmal Hor-Ahas. Immer wieder hat er die Treue unter Beweis gestellt, von der du sprichst, aber ich weiß, dass sie von Ehrgeiz gefärbt ist, nicht von Liebe. Ich verurteile das nicht. Ich bin dankbar. Dennoch gibt es nur ganz wenige, die mich wirklich lieben, Ahmose, und die sind mir zu viel wert, als dass ich ihre Zuneigung aufs Spiel setze.
»Nein«, sagte er abschließend. »Treue hält mehr aus als Liebe, denn sie ist ein beständigeres und tieferes Gefühl, das viel Missbrauch überlebt, ehe es stirbt. Aber Ramose hat genug durchgemacht. So einfach ist das.«
Die Unterhaltung wandte sich festerem Boden zu, doch in stillen Augenblicken fielen Kamose wieder die Worte seines Bruders ein, und er merkte, dass er leidenschaftslos darüber nachdachte. Ramose war tatsächlich einfallsreich und klug. Und er
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