In der Schwebe
Heckenrosen überwucherten Ziegelpfad, der zur Haustür führte. In ihrem Traum hatte sie das kleine Tor aufgestoßen und hatte es quietschen gehört, wie es stets gequietscht hatte, weil den Scharnieren ein Tropfen Öl fehlte. Sie war über den Fußpfad zu dem steinernen Cottage gegangen. Nur ein halbes Dutzend Schritte, und sie würde die Haustür öffnen. Würde rufen, dass sie zu Hause war, endlich zu Hause. Sie sehnte sich nach der Umarmung ihrer Mutter, nach ihrem Trost und ihrer Vergebung. Aber aus dem halben Dutzend Schritte wurde ein Dutzend. Zwei Dutzend. Und immer noch war das Haus weit weg, der Pfad zog sich immer mehr in die Länge, bis das Haus zur Größe einer Puppenstube geschrumpft war.
Als Diana erwachte, hatte sie die Arme weit ausgestreckt; ein Schrei der Verzweiflung löste sich aus ihrer Brust.
Sie öffnete die Augen und sah, wie Michael Griggs sie anstarrte. Obwohl sein Gesicht durch die Filterschutzmaske und die Brille teilweise verdeckt war, konnte sie den Ausdruck des Entsetzens darin erkennen.
Sie zog den Reißverschluss ihres Schlafsacks auf und eilte in das russische Modul. Noch bevor sie ihr Gesicht im Spiegel erblickte, wusste sie, was sie dort sehen würde.
Das Weiß ihres linken Auges war von einer leuchtend roten Flamme überzogen.
Im Dämmerlicht des Wohnmoduls unterhielten sich Emma und Luther in gedämpftem Tonfall. Im größten Teil der Station war die Energieversorgung noch stark eingeschränkt, nur das russische Segment, das seine eigene Stromquelle hatte, war voll betriebsbereit. Die amerikanische Hälfte der ISS war nur noch ein unheimliches Labyrinth düsterer Röhren, und im Halbdunkel des Wohnmoduls war die hellste Lichtquelle der Computerbildschirm, der momentan die Diagramme der Lebenserhaltungs- und Umweltsysteme anzeigte. Emma und Luther waren mit dem ECLSS vertraut; bei ihrem Training auf der Erde hatten sie sich alle seine Komponenten und Subsysteme gut eingeprägt. Jetzt aber hatten sie einen gewichtigen Grund, das System zu überprüfen. Sie hatten eine ansteckende Substanz an Bord, und sie konnten nicht ausschließen, dass die gesamte Station verseucht war. Als Nikolai gehustet hatte und die Eier der Chimäre im ganzen RSM umhergeflogen waren, war die Luke offen gewesen. Innerhalb von Sekunden hatte das Zirkulationssystem der ISS, das darauf ausgerichtet war, Ansammlungen verbrauchter Luft zu verhindern, die schwebenden Tröpfchen in andere Teile der Station gewirbelt. Hatte das Umweltkontrollsystem die umherfliegenden Partikel seiner Funktion entsprechend eingefangen und aus der Luft herausgefiltert, oder war der tödliche Stoff jetzt überall, in allen Modulen?
Der Monitor zeigte schematische Darstellungen der Luftströmungen zwischen der künstlichen Atmosphäre innerhalb der Station und der Umgebung. Der Sauerstoff kam aus mehreren voneinander unabhängigen Quellen. Die Hauptquelle war der russische Elektron-Generator, der durch Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff umwandelte. Zu den Reservequellen gehörten ein mit festem Treibstoff betriebener Generator, der mit chemischen Patronen arbeitete, sowie Sauerstofftanks, die vom Shuttle regelmäßig aufgefüllt wurden. Ein Röhrensystem verteilte den mit Stickstoff gemischten Sauerstoff in der ganzen Station, während Ventilatoren für die Luftzirkulation zwischen den Modulen sorgten. Andere Ventilatoren bliesen die Luft durch diverse Scrubber und Filter, mit denen sie von Kohlendioxid, Wasser und Verunreinigungen befreit wurde.
»Diese HEPA-Filter müssten sämtliche Eier oder Larven innerhalb von fünfzehn Minuten eingefangen haben«, sagte Luther und zeigte auf das Diagramm. »Das System hat eine Effizienz von neunundneunzig Komma neun Prozent. Alles, was größer ist als ein Mikrometer, müsste herausgefiltert worden sein.«
»Vorausgesetzt, die Eier sind in der Luft geblieben«, wandte Emma ein. »Das Problem ist, dass sie an Oberflächen hängen bleiben. Und ich habe gesehen, wie sie sich bewegt haben. Sie können in Spalten hineinkriechen und sich hinter Verkleidungen verstecken, wo wir sie nicht sehen.«
»Wir würden Monate brauchen, um alle Verkleidungen rauszureißen und nach ihnen zu suchen. Selbst dann würden uns wahrscheinlich noch einige entgehen.«
»Aussichtslos, das können wir vergessen. Ich werde die restlichen HEPA-Filter auswechseln. Und du überprüfst morgen noch einmal die mikrobiellen Luftsampier. Das muss reichen. Wenn diese Larven in die Elektroinstallation
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