In der Schwebe
Schwester stöpselte den Elektrorasierer ein. Debbies blonde Haare fielen in seidigen Büscheln zu Boden, während ihre Kopfhaut Stück für Stück freigelegt wurde.
Die Stationsschwester schaute zur Tür herein. »Der Neurochirurg steckt im Stau! Er kann frühestens in einer Stunde hier sein.«
»Dann holen Sie einen anderen her!«
»Die sind alle im Texas Med! Die haben die ganzen Kopfverletzungen gekriegt.«
O Gott, jetzt sitzen wir in der Tinte,
dachte Jack und schaute Debbie an. Mit jeder Minute, die verstrich, stieg der Druck in ihrem Schädel weiter an. Gehirnzellen starben ab.
Wenn das hier meine Frau wäre, würde ich nicht mehr warten. Keine Sekunde.
Er schluckte vernehmlich. »Holen Sie mir den Hudson-Knochenbohrer! Ich werde selbst trepanieren.« Er sah die verblüfften Blicke der Krankenschwestern und fügte mit gespielter Gelassenheit hinzu: »Es ist, wie wenn man Löcher in eine Wand bohrt. Ich mache das nicht zum ersten Mal.«
Während die Schwestern die frisch geschorene Kopfhaut vorbereiteten, schlüpfte Jack in einen OP-Kittel und zog sich Gummihandschuhe über. Er zog die sterilen Abdecktücher zurecht und war erstaunt, dass seine Hände immer noch ganz ruhig waren, auch wenn sein Herz raste. Es stimmte, dass er schon einmal trepaniert hatte, jedoch erst ein einziges Mal, und das war vor Jahren gewesen – unter der Aufsicht eines Neurochirurgen.
Es bleibt keine Zeit mehr. Sie stirbt. Tu’s!
Er griff nach dem Skalpell und machte oberhalb des Schläfenbeins einen geraden Einschnitt. Blut sickerte heraus. Er tupfte es weg und kauterisierte die blutenden Gefäße. Mit einem Wundspreizer sicherte er Hautlappen und schnitt tiefer durch die Kopfschwarte, bis er die Schädelhaut erreichte. Er kratzte sie zur Seite und legte die Schädeloberfläche frei.
Dann nahm er den Bohrer zur Hand. Es war ein mechanischer Apparat, handbetrieben und von fast antikem Aussehen – ein Werkzeug, wie man es in Großvaters Schreinerwerkstatt hätte finden können. Zuerst benutzte er den Perforator, eine spatenförmige Bohrspitze, die sich gerade tief genug in den Knochen eingrub, dass ein kleines Loch entstand. Dann tauschte er ihn gegen die Rosette, einen kugelförmigen Einsatz mit aufgerauter Oberfläche. Er holte noch einmal Luft, setzte den Bohrer an und begann tiefer zu bohren. Auf das Gehirn zu. Die ersten Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Er hatte keine CT-Aufnahmen, nach denen er sich hätte richten können; seine einzige Orientierungshilfe war sein medizinisches Urteil. Er wusste nicht einmal, ob er die richtige Stelle anbohrte.
Ein Schwall Blut schoss plötzlich aus dem Loch und spritzte auf die OP-Tücher.
Eine Schwester reichte ihm eine Schale. Er zog den Bohrer heraus und sah zu, wie ein stetiger roter Strom aus dem Schädel floss und sich in der Schale zu einer glänzenden Lache sammelte. Er hatte die richtige Stelle angezapft. Mit jedem abfließenden Tropfen ließ der Druck auf Debbie Hanings Gehirn nach.
Er atmete tief durch, und mit einem Mal fiel die Spannung von ihm ab; er fühlte sich erschöpft, und seine Muskeln schmerzten.
»Machen Sie das Knochenwachs fertig«, sagte er. Dann legte er den Bohrer weg und griff nach dem Absaugkatheter. Eine weiße Maus hing mitten in der Luft. Es sah aus, als schwimme sie im klaren Wasser des Ozeans. Dr. Emma Watson schwebte auf sie zu, wobei die Bewegungen ihrer zierlichen Gliedmaßen anmutig waren wie die einer Unterwassertänzerin. Ihre aufgefächerten braunen Ringellöckchen umhüllten ihren Kopf wie ein verschwommener Heiligenschein. Sie griff nach der Maus und drehte sich langsam um die eigene Achse, bis sie in die Kamera blickte. In der anderen Hand hielt sie eine Spritze.
Die Aufnahmen waren über zwei Jahre alt, gefilmt an Bord des Shuttles
Atlantis
während der Mission STS 141, doch es war immer noch Gordon Obies bevorzugter PR-Film, weshalb er jetzt auch über alle Videobildschirme des Teague-Auditoriums der NASA lief. Wem würde es nicht Spaß machen, Emma Watson zu beobachten? Sie war grazil und gewandt, sprühte regelrecht vor Schwung und Energie, und in ihren Augen brannte ein neugieriges Feuer. Von der winzigen Narbe oberhalb ihrer Augenbraue bis zu dem etwas angeschlagenen Schneidezahn (ein Souvenir einer allzu wilden Schussfahrt, wie er gehört hatte) war ihr Gesicht ein Abbild ihres überschwänglichen Lebensstils. Aber was sie für Gordon in erster Linie anziehend machte, war ihre Intelligenz. Ihre Kompetenz. Er hatte Emmas
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