In der Schwebe
Hanings Wagen war in eine Massenkarambolage auf der I 45 verwickelt«, sagte Hank. »Man hat sie mit dem Krankenwagen ins Miles Memorial gebracht. Jack McCallum hat sie in der Notaufnahme gesehen.«
Gordon nickte. Sie alle kannten Jack gut. Obwohl er nicht mehr zum Astronautenkorps gehörte, stand er immer noch auf der Liste der aktiven Flugärzte der NASA. Vor einem Jahr hatte er die meisten Aufgaben bei der NASA niedergelegt, seither arbeitete er als Unfallarzt im zivilen Bereich.
»Jack war derjenige, der unser Büro wegen Debbie angerufen hat«, sagte Hank.
»Hat er irgendetwas über ihren Zustand gesagt?«
»Schwere Kopfverletzungen. Sie liegt im Koma auf der Intensivstation.«
»Prognose?«
»Dazu konnte er nichts sagen.« In der nun eintretenden Stille dachten sie alle daran, was diese Tragödie für die NASA bedeutete. Hank seufzte. »Wir werden es Bill sagen müssen. Wir können ihm diese Nachricht nicht vorenthalten. Das Problem ist …« Er vollendete den Satz nicht, was auch nicht nötig war, denn sie wussten alle, was das Problem war.
Bill Haning kreiste zurzeit mit der ISS um die Erde. Er hatte erst einen Monat seines auf vier Monate angelegten Einsatzes hinter sich. Diese Nachricht würde ihn umhauen. Von allen Faktoren, die einen längeren Aufenthalt im All so schwierig machten, bereitete die emotionale Belastung der NASA die größten Sorgen. Ein depressiver Astronaut konnte einer Mission verheerenden Schaden zufügen. Vor Jahren war in der
Mir
eine ähnliche Situation eingetreten, als der Kosmonaut Volodya Dezhurov vom Tod seiner Mutter erfahren hatte. Tagelang hatte er sich in einer der
Mir
-Kapseln eingeschlossen und sich geweigert, mit der Bodenkontrolle in Moskau zu sprechen. Sein Zustand hatte die Arbeit der gesamten
Mir
-Besatzung beeinträchtigt.
»Die beiden haben eine sehr enge Beziehung«, sagte Hank.
»Ich kann euch schon jetzt sagen, dass Bill das ganz schön zusetzen wird.«
»Schlagen Sie vor, wir sollen ihn ersetzen?«, fragte Gordon.
»Mit dem nächsten planmäßigen Shuttleflug. Es wird ihm schwer genug fallen, die nächsten zwei Wochen dort oben festzusitzen. Wir können nicht verlangen, dass er die ganzen vier Monate durchzieht.« Leise fügte Hank hinzu: »Sie haben schließlich zwei kleine Kinder.«
»Seine Vertretung für die ISS ist Emma Watson«, sagte Woody Ellis. »Wir könnten sie mit STS 160 raufschicken. In Vance’ Crew«
Gordon achtete sorgfältig darauf, bei der Erwähnung von Emmas Namen keinerlei Zeichen eines besonderen Interesses zu zeigen. Oder irgendeines Gefühls. »Was halten Sie von Watson? Ist sie in der Lage, drei Monate früher als vorgesehen zu fliegen?«
»Sie ist Bills reguläre Ablösung. Bei den meisten Bordexperimenten ist sie schon jetzt auf dem erforderlichen Trainingsstand. Ich denke, es ist machbar.«
»Also, mir gefällt das überhaupt nicht«, warf Bob Kittredge ein.
Gordon stieß einen müden Seufzer aus und sah den Shuttle-Commander an. »Das hatte ich auch nicht erwartet.«
»Watson ist ein fester Bestandteil
meiner
Crew. Wir sind zu einem Team zusammengewachsen. Ich würde es nur äußerst ungern auflösen.«
»Ihr Team hat noch drei Monate bis zum Start. Sie haben genügend Zeit, Änderungen vorzunehmen.«
»Sie erschweren mir meine Arbeit sehr.«
»Wollen Sie etwa sagen, dass Sie in dieser Zeit kein neues Team bilden können?«
Kittredge presste die Lippen zusammen. »Ich sage lediglich, dass mein Team bereits eine funktionierende Einheit ist. Wir wären nicht sehr erfreut darüber, Watson zu verlieren.«
Gordon sah Hank an. »Was ist mit der Crew von STS 160? Mit Vance und seinem Team?«
»Von deren Seite gibt es keine Schwierigkeiten. Watson wäre einfach nur ein weiterer Passagier an Deck. Sie würden sie bei der ISS abliefern wie jede andere Nutzlast.«
Gordon dachte darüber nach. Noch sprachen sie nur über Möglichkeiten, nicht über Gewissheiten. Vielleicht wachte Debbie Haning wieder auf und erholte sich, und Bill konnte wie geplant in der ISS bleiben. Aber wie alle anderen bei der NASA hatte Gordon sich beigebracht, sämtliche Eventualitäten in seine Planung einzubeziehen. Er hatte in solchen Fällen immer ein Flussdiagramm im Kopf, in dem die entsprechenden Schritte im Falle von a, b oder c eingezeichnet waren.
Er sah Woody Ellis an, um eine letzte Bestätigung zu erhalten. Woody antwortete mit einem Nicken.
»Okay«, sagte Gordon. »Bringen Sie mir Emma Watson.« Sie entdeckte ihn am Ende des
Weitere Kostenlose Bücher