In der Schwebe
Karriere bei der NASA mit Interesse verfolgt, und das hatte nichts mit der Tatsache zu tun, dass sie eine attraktive Frau war.
Als Direktor der Flugeinsatzabteilung hatte Gordon Obie einen beträchtlichen Einfluss auf die Auswahl der Crewmitglieder, und er war bemüht, eine sichere emotionale Distanz – manche hätten auch von Herzlosigkeit gesprochen – gegenüber seinen Astronauten zu wahren. Er war selbst Astronaut gewesen, zweimal auch Shuttle-Commander, und schon damals war er als »Sphinx« bekannt gewesen, als verschlossener, unnahbarer Mann, der nichts von Smalltalk hielt. Er hatte sich in seiner stillen Isolation und relativen Anonymität recht gut eingerichtet. Obwohl er jetzt mit einer ganzen Reihe von hohen NASA-Vertretern auf dem Podium saß, wussten die meisten Leute im Zuhörerraum nicht, wer Gordon Obie war. Er war nur zur Dekoration da. Genau wie der Film mit Emma Watson nur der Dekoration diente, ein hübsches Gesicht, mit dem das Interesse der Zuschauer wach gehalten werden sollte.
Das Video brach unvermittelt ab, und auf den Bildschirmen erschien stattdessen das NASA-Logo, auch scherzhaft als »Fleischklops« bezeichnet – ein mit Sternen gespickter blauer Kreis, verziert mit einer stilisierten elliptischen Umlaufbahn und durchkreuzt von einem gegabelten roten Strich. Der NASA-Verwaltungschef Leroy Connell und der Direktor des JSC Ken Blankenship traten an das Rednerpult, um sich den Fragen zu stellen. Ihre Mission bestand schlicht und einfach darin, um Geld zu betteln, und sie hatten es hier mit einer Versammlung von skeptischen Kongressabgeordneten und Senatoren zu tun, Mitgliedern der verschiedenen Unterausschüsse, die über das Budget der NASA zu entscheiden hatten. Die NASA litt jetzt schon im zweiten Jahr unter verheerenden Kürzungen, und seit einiger Zeit herrschte in den Räumen des Johnson Space Center eine ausgesprochen düstere Atmosphäre.
Gordon Obie blickte in die Reihen von elegant gekleideten Männern und Frauen, und er hatte das Gefühl, einer fremden Kultur gegenüberzustehen. Was war nur los mit diesen Politikern? Wie konnten sie bloß so kurzsichtig sein? Er begriff nicht, dass sie seine leidenschaftlichste Überzeugung nicht teilten: dass nämlich allein der Hunger nach Wissen den Menschen vom Tier unterscheidet. Jedes Kind stellt die universelle Frage:
Warum?
Von Geburt an ist der Mensch darauf programmiert, neugierig zu sein, zu forschen, wissenschaftliche Wahrheiten zu entdecken.
Doch diese gewählten Volksvertreter hatten die Neugier verloren, die den Menschen so einmalig macht. Die Frage, mit der sie nach Houston gekommen waren, lautete nicht
Warum?,
sondern
Wozu soll das eigentlich gut sein?
Es war Cornells Idee gewesen, sie mit dem zu umgarnen, was er zynisch »die Tom-Hanks-Tour« nannte – eine Anspielung auf den Film
Apollo 13,
der immer noch mit die beste Werbung war, die die NASA je gehabt hatte. Cornell hatte ihnen bereits die jüngsten Forschungserfolge an Bord der International Space Station präsentiert. Er hatte sie ein paar echten Astronauten die Hand schütteln lassen. Träumte davon nicht jeder? Eine dieser Lichtgestalten, dieser Heldenfiguren zu berühren? Anschließend würden sie einen Rundgang durch das Johnson Space Center machen, beginnend mit Bau 30 und dem Flugkontrollraum. Es spielte gar keine Rolle, dass dieses Publikum ein Kontrollpult nicht von einem Nintendo-Computerspiel unterscheiden konnte. Die glitzernden technischen Apparaturen würden sie gewiss blenden und sie zu wahren Gläubigen machen.
Aber es funktioniert nicht,
dachte Gordon verbittert.
Diese Politiker fallen nicht darauf rein.
Die NASA hatte es mit mächtigen Gegenspielern zu tun, angefangen mit Senator Phil Parish, der in der ersten Reihe saß. Parish war sechsundsiebzig Jahre alt, ein kompromissloser Falke aus South Carolina, dessen oberste Priorität die Wahrung des Verteidigungsetats war – zur Hölle mit der NASA. Jetzt stemmte er seine zweieinhalb Zentner aus dem Sitz, um Cornell in dem gedehnten Tonfall des Südstaaten-Gentlemans anzureden.
»Ihre Behörde hat mit dieser Raumstation ihr Budget um Milliarden Dollar überzogen«, sagte er. »Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass das amerikanische Volk bereit ist, seine Verteidigungsbereitschaft zu opfern, damit Sie sich da oben die Zeit mit Ihren schlauen Laborexperimenten vertreiben können. Das Ganze sollte doch ein internationales Projekt sein, oder? Nun, wenn ich es richtig sehe, bleiben wir auf dem
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