In der Schwebe
Die Gurte wurden befestigt, die Helme aufgesetzt, und Emma reckte den Daumen hoch zum Zeichen, dass alles okay war.
Die Luke schloss sich, und die Crew war von der Außenwelt abgeschnitten.
Emma konnte ihr eigenes Herz klopfen hören. Trotz der diversen Stimmen in ihrem Kopfhörer – die Funkverbindung von der Kapsel zum Boden musste gründlich durchgecheckt werden – und trotz des Gluckerns und Ächzens des erwachenden Shuttles drang das dumpfe Hämmern ihres Herzens an ihr Ohr wie das stete Schlagen einer Trommel. Als Passagier im Mitteldeck würde sie in den nächsten zwei Stunden nicht viel mehr zu tun haben als dazusitzen und nachzudenken. Die Besatzung des Oberdecks erledigte sämtliche Checks vor dem Start. Sie konnte nicht nach draußen schauen; alles, was sie sah, waren der Stauraum und der Küchenbereich.
Draußen würde bald der Morgen hereinbrechen, und am Strand von Playalinda würden die Pelikane über die Brandung fliegen.
Sie holte tief Luft, lehnte sich in den Sitz zurück und wartete.
Jack saß am Strand und wartete auf den Sonnenaufgang.
Er war nicht allein im Jetty Park. Schon seit den späten Abendstunden strömten Schaulustige heran, und die ankommenden Autos bildeten eine endlose Schlange aus Scheinwerferlichtern, die über den Bee Line Expressway herangekrochen kam. Manche scherten nach Norden in Richtung des Merritt-Island-Wildreservats aus, die anderen fuhren geradeaus über den Banana River in die Stadt Cape Canaveral hinein. Von beiden Orten aus würde man eine gute Sicht haben. Um ihn herum herrschte regelrecht Ferienstimmung. Strandtücher und Picknickkörbe wurden ausgepackt; er hörte Lachen und laute Radiomusik, das Plärren übermüdeter Kinder. Inmitten dieses ausgelassenen Trubels saß er schweigend da, allein mit seinen Gedanken und Befürchtungen.
Als die Sonne sich vom Horizont löste, blickte er nach Norden, wo die Startrampe lag. Emma war jetzt an Bord der
Atlantis,
wo sie fertig angeschnallt auf den Start wartete. Aufgeregt und glücklich und ein wenig ängstlich.
Er hörte, wie ein Kind sagte: »Das da ist ein böser Mann, Mom«, und drehte sich zu dem Mädchen um. Für eine Sekunde trafen sich die Blicke der kleinen, blonden Prinzessin und des unrasierten, ziemlich abgerissen wirkenden Mannes. Die Mutter schnappte sich das Mädchen und ging rasch ein paar Schritte weiter, um es vor dem bösen Mann in Sicherheit zu bringen.
Mit einem müden Lächeln schüttelte Jack den Kopf und wandte den Blick wieder nach Norden. Dorthin, wo Emma war.
Houston
Im Flugkontrollraum war es verdächtig still geworden. Noch zwanzig Minuten bis zum Start – Zeit zu überprüfen, ob noch alles klar war. Die hinteren Reihen hatten ihre Systeme bereits durchgecheckt, jetzt war es an den vorderen Reihen, ihr grünes Licht zu geben.
Mit ruhiger Stimme ging Carpenter die Liste durch und ließ sich von jedem Kontrolleur eine Bestätigung durchgeben.
»Fido?«, fragte Carpenter.
»Fido ist Go«, antwortete der Flugdynamik-Offizier. »Guido?«
»Steuerung ist Go.«
»Surgeon?«
»Surgeon ist Go.«
»DPS?«
»Datenverarbeitung ist Go.«
Nachdem Carpenter sie alle gefragt und von allen die Bestätigung erhalten hatte, nickte er einmal kurz in die Runde.
»Houston, sind Sie klar zum Start?«, fragte der Startdirektor in Cape Canaveral.
»Mission Control ist Go«, bestätigte Carpenter.
Im Kontrollzentrum in Houston hörten alle die traditionelle Botschaft des Startdirektors an die Shuttle-Crew »
Atlantis,
Sie sind Go. Wir alle hier am Cape wünschen Ihnen viel Glück und Gottes Segen.«
»Launch Control, hier
Atlantis
«, hörten sie Commander Vance antworten. »Danke, dass ihr den Vogel hier klar zum Fliegen gemacht habt.«
Cape Canaveral
Emma verschloss und verriegelte das Visier ihres Helms und aktivierte ihre Sauerstoffversorgung. Zwei Minuten bis zur Zündung. Eingehüllt in den Kokon ihres Raumanzugs hatte sie nichts weiter zu tun, als die Sekunden zu zählen. Sie spürte, wie die Haupttriebwerke erbebten, als sie in Startposition geschwenkt wurden.
T minus dreißig Sekunden. Die elektrische Verbindung zum Boden war gekappt, jetzt übernahmen die Bordcomputer die Steuerung.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und das Adrenalin schoss durch ihre Adern. Sie hörte den Countdown und wusste genau, was sie erwartete, Sekunde für Sekunde; vor ihrem geistigen Auge sah sie die Folge von Ereignissen, die sich jetzt abspielten.
Bei T minus acht ergossen sich Tausende Liter Wasser
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