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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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der Station? Das wäre ein ernsthaftes Problem.«
    »Eben. Gerade in einer abgeschlossenen Umgebung wie der unseren. Wir wären alle in Gefahr.«
    »Was halten Sie von einer Autopsie an den toten Mäusen?«
    Emma zögerte. »Wir sind hier nur auf den Umgang mit Kontaminierungen zweiten Grades eingerichtet. Wenn es sich um einen gefährlichen Krankheitserreger handeln sollte, darf ich nicht das Risiko eingehen, andere Tiere zu infizieren. Oder gar Menschen.«
    Am anderen Ende war es still. Dann sagte Loomis: »Ich verstehe. Und ich muss Ihnen wohl zustimmen. Sie werden also alle Kadaver sicher entsorgen?«
    »Unverzüglich«, antwortete Emma.

31. Juli
    Zum ersten Mal, seit er auf der ISS war, konnte Kenichi nicht einschlafen. Schon vor Stunden war er in seine Koje gekrochen, aber noch immer lag er wach, noch immer grübelte er über das Rätsel der toten Mäuse nach. Obwohl niemand ein vorwurfsvolles Wort an ihn gerichtet hatte, fühlte er sich irgendwie verantwortlich für das Scheitern des Experiments. Er überlegte hin und her, was er falsch gemacht hatte. Hatte er eine verunreinigte Kanüle benutzt, um den Tieren Blut abzunehmen, oder hatte er die Regler für die Umweltbedingungen im Habitat nicht richtig eingestellt? Die Gedanken an all die Fehler, die ihm hätten unterlaufen können, ließen ihn keinen Schlaf finden. Außerdem war da dieser pochende Schmerz in seinem Kopf. Die Beschwerden hatten am Morgen angefangen, zunächst nur in Form eines leichten Kribbeins um ein Auge herum. Im Laufe des Tages war es immer schmerzhafter geworden, und jetzt tat ihm die ganze linke Kopfhälfte weh. Es waren keine unerträglichen Schmerzen, sondern nur ein dumpfes Pochen, das ihm keine Ruhe ließ.
    Er öffnete den Reißverschluss seines Schlafsacks. Da er ohnehin nicht schlafen konnte, wollte er lieber noch einmal nach den Mäusen sehen.
    Er schwebte an dem geschlossenen Vorhang von Nikolais Schlafstelle vorbei auf die Verbindungsmodule zu, die zu der amerikanischen Hälfte der Station führten. Erst als er im Labor angelangt war, bemerkte er, dass außer ihm noch jemand wach war.
    Aus dem angrenzenden NASDA-Labor drang leises Gemurmel. Geräuschlos schwebte er in den Verbindungsknoten 2 und warf einen Blick durch die geöffnete Luke. Er sah Diana Estes und Michael Griggs in inniger Umarmung, die Lippen in wilder Gier aufeinander gepresst. Er wich zurück, ohne dass sie ihn bemerkt hatten. Sein Gesicht glühte angesichts der Situation, deren Zeuge er gerade geworden war, vor Verlegenheit.
    Und was nun? Sollte er sie in Ruhe lassen und in seine Koje zurückkehren?
Das ist nicht in Ordnung,
dachte er mit plötzlichem Groll.
Ich bin hier, um zu arbeiten, um meinen Pflichten nachzugehen.
    Er schwebte zum Tierhabitat hinüber. Beim Öffnen und Schließen der Schubfächer machte er absichtlich jede Menge Lärm, und kurz darauf tauchten, wie er es erwartet hatte, Diana und Griggs in der Luke auf. Beide waren ziemlich rot im Gesicht.
Und das mit gutem Grund,
dachte er,
bei dem, was sie gerade getrieben haben.
    »Wir hatten ein Problem mit der Zentrifuge«, log Diana. »Ich denke, wir haben den Fehler jetzt beseitigt.«
    Kenichi nickte nur und ließ sich nicht im Geringsten anmerken, dass er die Wahrheit kannte. Diana blieb cool wie immer, was ihn entsetzte und zugleich verärgerte. Griggs besaß immerhin den Anstand, ein wenig schuldbewusst dreinzuschauen.
    Kenichi sah ihnen nach, als sie durch die Luke hinausschwebten. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit endlich dem Habitat zu. Er starrte in den Käfig.
    Eine weitere Maus war tot. Ein Weibchen.

1. August
    Gelassen streckte Diana Estes den Arm zum Abbinden aus und ballte die Hand mehrmals hintereinander zur Faust, um die Ellenbeugenvene aufzupumpen. Als die Nadel ihre Haut durchbohrte, zuckte sie nicht zusammen und sah auch nicht weg; im Gegenteil, Diana war so unbeeindruckt, als würde das Blut gar nicht ihr selbst abgezapft. Die Astronauten machten in dieser Hinsicht im Laufe ihres Berufslebens einiges mit. Bei den Untersuchungen im Rahmen des Auswahlverfahrens wurde ihnen mehrfach Blut abgenommen; hinzu kamen Belastungstests und eine ganze Liste von bohrenden Fragen. Über ihre Blutbilder, EKGs und Zellzählungen wurde permanent Buch geführt, und Experten für Raumfahrtmedizin beschäftigten sich eingehend mit den Ergebnissen. Sie mussten mit Elektroden gespickt auf Laufbändern hecheln und schwitzen, von ihren Körperflüssigkeiten wurden Kulturen angelegt, und man

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