In der Schwebe
untersuchte ihre Eingeweide und jeden Quadratzentimeter ihrer Haut. Astronauten waren nicht bloß hoch qualifizierte Fachkräfte, sondern auch Gegenstand von allerlei Experimenten. Sie waren so etwas wie Versuchskaninchen, und während eines Raumflugs mussten sie sich einer ganzen Reihe zuweilen schmerzhafter Tests unterziehen.
Heute wurden wieder einmal Proben gesammelt. Als Bordärztin war Emma jetzt diejenige, die mit der Spritze herumzugehen hatte. Kein Wunder, dass die meisten Kollegen stöhnten, sobald sie auftauchte.
Nur Diana hatte einfach ihren Arm hingehalten und sich pieksen lassen. Während Emma darauf wartete, dass sich die Spritze mit Blut füllte, spürte sie den kritischen Blick der anderen Frau, die jede ihrer Bewegungen beobachtete. Wenn Prinzessin Diana Englands Rose war, so witzelte man im JSC, dann war Diana Estes Englands Eiswürfel. Sie war eine Astronautin, die nie die Fassung verlor, selbst wenn um sie herum das totale Chaos ausbrach.
Vor vier Jahren war Diana an Bord der
Atlantis
gewesen, als plötzlich ein Haupttriebwerk ausgefallen war. Auf den Funkaufzeichnungen war zu hören, wie die Stimmen des Shuttle-Commanders und des Piloten sich vor Aufregung fast überschlugen, als sie sich gezwungen sahen, das Shuttle auf einen transatlantischen Notlandeplatz zu steuern. Nicht so Dianas Stimme. Kühl und gelassen war sie die Checkliste durchgegangen, während das Shuttle einer unsicheren Landung in Nordafrika entgegengerast war. Was ihren Ruf als menschlichen Eisblock endgültig besiegelt hatte, waren die Biotelemetriewerte. Während die Herzfrequenzen der anderen allesamt in die Höhe geschossen waren, hatte sich Dianas Puls gerade mal auf gemächliche sechsundneunzig Schläge pro Minute beschleunigt.
»Das liegt daran, dass sie kein Mensch ist«, hatte Jack gescherzt.
»In Wirklichkeit ist sie ein Androide. Der Prototyp der neuen Astronauten-Baureihe der NASA.«
Emma musste zugeben, dass der Frau etwas nicht ganz Menschliches anhaftete.
Diana warf einen kurzen Blick auf die Einstichstelle, sah, dass sie nicht mehr blutete, und wandte sich nüchtern und sachlich wieder ihren Experimenten über das Wachstum von Proteinkristallen zu. Sie hatte in der Tat den fast perfekten Körperbau eines Androiden: schlank, feingliedrig, die makellose Haut durch den einmonatigen Aufenthalt im Orbit zu einem milchigen Weiß verblasst. Dazu kam noch ein überragender IQ, wie Emma von Jack erfahren hatte, der mit Diana für die Shuttle-Mission trainiert hatte, an der er dann doch nicht hatte teilnehmen können.
Diana besaß einen Doktortitel in Materialwissenschaften und hatte mehr als ein Dutzend Artikel über Zeolithe veröffentlicht – eine Art von Kristallen, die bei der Petroleumverarbeitung Verwendung finden –, bevor sie in das Astronautenkorps aufgenommen worden war. Bei dieser Mission war sie die verantwortliche Wissenschaftlerin für die Forschungen sowohl über organische als auch anorganische Kristalle. Auf der Erde wurde die Kristallbildung durch die Schwerkraft beeinträchtigt. Im Weltraum dagegen wurden die Kristalle größer und wuchsen in komplexeren Formen, wodurch eine gründlichere Analyse ihrer Struktur möglich wurde. Hunderte von menschlichen Proteinen, von Angiotensin bis hin zu Choriongonadotropin, wurden an Bord der ISS in Kristallform gezüchtet – entscheidende pharmakologische Grundlagenforschung, die zur Entwicklung neuer Medikamente führen konnte.
Nachdem sie mit Diana fertig war, verließ Emma das ESALabor und schwebte hinüber ins Wohnmodul, wo sie Michael Griggs fand. »Sie sind als Nächster dran«, sagte sie.
Er seufzte und hielt ihr widerwillig den Arm hin. »Alles im Namen der Wissenschaft.«
»Diesmal ist es nur ein einziges Röhrchen«, sagte Emma, während sie das Stauband anlegte.
»Wir haben so viele Einstiche, dass wir wie Junkies aussehen.«
Sie schlug ein paar Mal mit der flachen Hand auf die Haut, damit die Vene deutlicher hervortrat. Sogleich wurde sie sichtbar, ein blauer Strang, der sich über seinen muskulösen Arm zog. Griggs hatte immer streng darauf geachtet, in Topform zu bleiben, was während eines Raumflugs keine leichte Sache war. Das Leben im All hinterließ seine Spuren am menschlichen Körper. Die Gesichter der Astronauten waren durch die Verlagerung der Körperflüssigkeiten aufgequollen, und ihre Beinmuskeln schrumpften zusehends, bis schließlich die charakteristischen »Hühnerbeine« aus ihren zu groß wirkenden Shorts ragten. Die
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