In der Schwebe
gepiesackt hatte. Er schlug die Augen wieder auf, doch die Übelkeit hielt an.
Ich brauche Ruhe,
dachte er.
Er fing die sich sträubende Maus wieder ein und verfrachtete sie in den Käfig. Dann nahm er die beiden Beutel mit den Kadavern heraus und legte sie in den Kühlschrank. Morgen würde er sich um das Problem kümmern. Morgen, wenn es ihm wieder besser ging.
30. Juli
»Diese hier habe ich heute Morgen tot gefunden«, sagte Kenichi. »Das ist schon die Sechste.«
Emma betrachtete skeptisch die Mäuse im Tierhabitat. Sie waren in einem unterteilten Käfig untergebracht, Männchen und Weibchen nur durch ein Drahtgitter voneinander getrennt. Sie atmeten dieselbe Luft, fraßen dasselbe Futter und tranken von demselben Wasser. Auf der Seite der Männchen schwebte eine tote Maus regungslos in der Luft, die Beine steif vom Körper weggestreckt. Die anderen Männchen hingen alle am anderen Ende des Käfigs aufeinander und kratzten am Gitter, als versuchten sie in Panik zu entkommen.
»Sie haben in siebzehn Tagen sechs Mäuse verloren?«
»Fünf Männchen. Ein Weibchen.«
Emma suchte die übrigen Tiere nach Anzeichen von Erkrankungen ab. Sie schienen alle munter zu sein; ihre Augen glänzten, ihre Nasenlöcher waren frei von Schleim.
»Holen wir zuerst diese tote Maus heraus«, sagte sie. »Anschließend können wir uns die anderen genauer ansehen.«
Mit Hilfe der Handschuhbox entfernte sie den Kadaver. Die Totenstarre war bereits eingetreten; die Beine waren steif, das Rückgrat ließ sich nicht biegen. Das Maul stand halb offen, und die rosafarbene Zungenspitze lugte hervor. Es war keineswegs ungewöhnlich, dass Versuchstiere im Weltraum verendeten. Bei einem Shuttleflug im Jahre 1998 hatte die Sterblichkeit unter den neugeborenen Ratten fast hundert Prozent betragen. Die Mikrogravitation war ein fremder Lebensraum, an den nicht alle Arten sich ohne weiteres anpassen konnten.
Diese Mäuse waren vor dem Flug auf eine ganze Reihe von Bakterien, Pilzen und Viren durchgecheckt worden. Falls es sich um eine Infektion handelte, mussten sie sich an Bord der ISS angesteckt haben.
Sie legte die tote Maus in einen Plastikbeutel, wechselte die Handschuhe und steckte die Hände wieder in den Käfig, um eine der lebenden Mäuse einzufangen. So heftig, wie das Tier sich sträubte und wand, war es vermutlich bei guter Gesundheit. Das einzig Auffallende war ein zerfetztes Ohr, das wohl von den Käfiggenossen angeknabbert worden war. Sie drehte die Maus um, damit sie ihren Bauch untersuchen konnte, und stieß einen überraschten Laut aus.
»Es ist ein Weibchen«, sagte sie.
»Was?«
»Sie hatten ein Weibchen im Käfig der Männchen.«
Kenichi trat näher und warf durch das Sichtfenster des Handschuhkastens einen Blick auf die Genitalien der Maus. Es war nicht zu übersehen. Sein Gesicht lief vor Scham dunkelrot an.
»Das war letzte Nacht«, erklärte er. »Sie hat mich gebissen. Ich habe sie dann schnell wieder reingesetzt.«
Emma lächelte ihn verständnisvoll an. »Nun ja, das Schlimmste, was uns passieren kann, ist ein unerwarteter Babyboom.«
Kenichi zog sich Handschuhe über und steckte die Hände durch das zweite Paar Armlöcher in die Handschuhbox. »Ich habe Fehler gemacht«, sagte er. »Ich mache es wieder gut.«
Zusammen untersuchten sie die restlichen Mäuse in dem Käfig, fanden aber keine weiteren verirrten Exemplare. Alle schienen gesund.
»Das ist äußerst merkwürdig«, sagte Emma. »Wenn wir es mit einer ansteckenden Krankheit zu tun hätten, müssten doch irgendwelche Anzeichen für eine Infektion zu erkennen sein …«
»Watson?«, rief eine Stimme über die Lautsprecheranlage des Moduls.
»Im Labor, Griggs«, antwortete sie.
»Sie haben eine dringende E-Mail von der Nutzlastzentrale.«
»Ich seh sie mir gleich an.« Sie verschloss das Terrarium und sagte zu Kenichi: »Lassen Sie mich rasch meine E-Mail lesen. Sie können ja inzwischen die Mäusekadaver herausnehmen, die Sie im Kühlschrank gelagert haben. Wir sehen sie uns dann gemeinsam an.«
Er nickte und machte sich auf den Weg zum Kühlschrank.
Am Computerarbeitsplatz des Labors rief sie ihre E-Mail auf.
An: Dr. Emma Watson
Absender: Helen Koenig, Wissenschaftliche Leiterin
Betreff: Experiment CCU Nr. 23 (Archäen-Zellkultur)
Nachricht: Das Experiment sofort abbrechen. Jüngste von Atlantis überbrachte Proben weisen Verunreinigung durch Pilze auf. Alle Archäenkulturen sollten samt Behälter im Verbrennungsofen vernichtet werden;
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