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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Körperflüssigkeiten einer toten Labormaus darin.«
    »Erzählen Sie mir mehr davon.« Todds Stimme klang plötzlich sehr leise.
    »Die Mäuse in diesem Experiment sind aus unerfindlichen Gründen eine nach der anderen gestorben. Die Kadaver sind verblüffend schnell verwest. Ich befürchtete, irgendwelche Krankheitserreger könnten die Ursache sein, und habe deshalb Proben der Körperflüssigkeiten genommen, um Kulturen anzulegen. Leider sind diese Kulturen alle verdorben.«
    »Wie das?«
    »Ich glaube, es war Pilzbefall. Die Schalen haben sich plötzlich grün verfärbt; ich musste sie alle wegwerfen. Es sind aber keine bekannten Krankheitserreger nachweisbar. Das Gleiche ist bei einem anderen Experiment passiert, einer Zellkultur von Meeresorganismen. Wir mussten dieses Projekt abbrechen, weil in das Kulturröhrchen Pilze eingedrungen sind.«
    Pilzbefall war, trotz der ständigen Luftzirkulation, leider kein ungewöhnliches Problem in einer geschlossenen Umgebung wie der ISS. An Bord der alten
Mir
hatten sich die Fenster manchmal mit einer Schicht aus Schimmelpilzen überzogen. Ist die Luft in einem Raumschiff einmal von solchen Organismen befallen, dann ist es schier unmöglich, sie wieder loszuwerden. Glücklicherweise waren sie im Großen und Ganzen harmlos für Menschen und Labortiere.
    »Wir wissen also nicht, ob er irgendwelchen Krankheitserregern ausgesetzt war«, sagte Todd.
    »Nein. Im Moment sieht es eher nach einem Fall von Pankreatitis aus als nach einer Bakterieninfektion. Ich habe einen Zugang gelegt, und ich denke, eine Magensonde ist auch fällig.« Sie hielt inne und fügte dann zögernd hinzu: »Wir müssen uns Gedanken über eine Notevakuierung machen.«
    Am anderen Ende war es lange still. Dies war das Szenario, das alle fürchteten; die Entscheidung, die niemand treffen wollte. Das CRV, das »Rettungsboot« der Station, das immer an die ISS gekoppelt blieb, solange Personal an Bord war, bot genug Platz für alle sechs Astronauten. Da die
Sojus
-Kapsel nicht mehr betriebsbereit war, blieb nur das CRV als Fluchtfahrzeug. Wenn es eingesetzt wurde, dann nur mit der gesamten Besatzung an Bord. Wegen eines einzigen kranken Crewmitglieds wären sie gezwungen, die ISS zu verlassen, was wiederum das Ende für Hunderte von Weltraumexperimenten bedeutete. Es wäre ein äußerst schwerer Rückschlag für die Station.
    Aber es gab eine Alternative. Sie konnten auf den nächsten Shuttleflug warten, um Kenichi zu evakuieren. Letztendlich war es eine medizinische Entscheidung: Konnte
er
so lange warten? Emma wusste, dass die NASA sich auf ihr ärztliches Urteil verließ, und die Verantwortung lastete schwer auf ihren Schultern.
    »Wie wäre es mit einer Shuttle-Evakuierung?«
    Todd Cutler war sich des Dilemmas bewusst. »Wir haben die
Discovery
auf der Startrampe für STS 161, Start minus fünfzehn Tage. Aber diese Mission ist als militärisch eingestuft. Bergung und Reparatur von Satelliten. Die Crew von 161 ist nicht auf ein Rendezvous mit der ISS vorbereitet.«
    »Und wenn man sie durch Kittredges Team ersetzt? Durch meine alte Crew von 162? Schließlich sollen die ohnehin in sieben Wochen planmäßig hier andocken. Sie sind vorbereitet.«
    Emma warf Michael Griggs, der sich in der Nähe aufhielt und das Gespräch mitgehört hatte, einen Blick zu. Sein oberstes Ziel als Kommandant der ISS war es, den ungestörten Betrieb der Station zu gewährleisten, und daher war er strikt gegen eine vollständige Evakuierung. Jetzt schaltete er sich in die Unterhaltung ein.
    »Cutler, hier spricht Griggs. Wenn meine Crew evakuiert wird, verlieren wir Experimente. Dann ist die Arbeit von vielen Monaten umsonst gewesen. Eine Rückholung per Shuttle scheint mir das Sinnvollste zu sein. Wenn Kenichi nach Hause muss, dann kommt ihr eben und holt ihn ab. Aber lasst uns hier bleiben und unsere Arbeit machen.«
    »Haben wir denn so viel Zeit?«, wollte Todd wissen.
    »Wie schnell könnt ihr den Vogel herschicken?«, fragte Griggs zurück.
    »Das ist eine Frage der Logistik. Startfenster …«
    »Sagen Sie einfach, wie lange es dauert.«
    Cutler zögerte. »Flugdirektor Ellis steht neben mir. Bitte sehr, Flight.«
    Was als vertrauliches Gespräch zwischen zwei Ärzten auf einer gesonderten Frequenz begonnen hatte, war nun zu einer regelrechten Konferenz geworden. Sie hörten Woody Ellis sagen:
    »Sechsunddreißig Stunden. Das ist der frühestmögliche Starttermin.«
    In sechsunddreißig Stunden konnte sich vieles ändern,

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