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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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wild aus.
    »Verabreiche eine Ampulle Lidocain intravenös«, verkündete Diana.
    »Nikolai, schocken Sie ihn noch einmal!«
    Er zögerte einen winzigen Moment, dann griff er nach den Elektroden, drückte sie auf die Brust des Patienten und löste den Stromschlag aus. Diesmal jagten zweihundert Joule durch Kenichis Herz.
    Emma sah nach dem Monitor. »Jetzt haben wir Kammerflimmern! Nikolai, beginnen Sie mit der Herzmassage! Ich werde intubieren.«
    Nikolai ließ die Platten los, und sie begannen zu schweben, nur noch von den Kabeln festgehalten. Er stützte die Füße wieder an der Wand des Moduls ab und wollte gerade die Handflächen auf Kenichis Brustbein legen, als er plötzlich ruckartig die Hände wegzog.
    Emma sah ihn an. »Was ist los?«
    »Seine Brust! Sehen Sie sich seine Brust an!«
    Sie starrten alle darauf.
    Die Haut von Kenichis Brust brodelte und wogte auf und ab. An den Kontaktstellen, wo die Elektroden des Defibrillators ihre Ladung abgegeben hatten, hatten sich zwei erhabene Kreise gebildet, die sich jetzt wie die Wellen um einen ins Wasser geworfenen Stein ausbreiteten.
    »Asystolie!«, rief Jacks Stimme im Kopfhörer.
    Nikolai blickte immer noch wie erstarrt auf Kenichis Brust.
    Es war Emma, die sich nun in Position brachte und sich mit dem Rücken an Nikolai abstützte.
    Asystolie. Das Herz hat aufgehört zu schlagen. Ohne Herzmassage wird er sterben.
    Sie spürte keinerlei Bewegung, nichts Ungewöhnliches. Nur Haut, die sich über die vertrauten Konturen des Brustbeins spannte.
Faszikuläre Zuckungen. Das muss es sein,
dachte sie.
Es gibt keine andere Erklärung.
Sie begann mit den Kompressionen – ihre Hände übernahmen die Arbeit von Kenichis Herz und pumpten das Blut in seine lebenswichtigen Organe.
    »Diana, eine Ampulle Adrenalin IV!«, befahl sie.
    Diana injizierte das Medikament in den Infusionsschlauch.
    Sie starrten auf den Monitor, hoffend und betend, dass der leuchtende Punkt wieder ausschlagen würde.

11
    »Es muss eine Autopsie durchgeführt werden«, sagte Todd Cutler.
    Gordon Obie, der Leiter der Flugeinsatzabteilung, warf ihm einen ungehaltenen Blick zu. Einige der übrigen Anwesenden im Konferenzzimmer reagierten ebenfalls mit wegwerfenden Gesten, denn Cutler hatte nur ausgesprochen, was ohnehin offensichtlich war. Selbstverständlich musste es eine Autopsie geben.
    Über ein Dutzend Menschen hatten sich zu dieser Krisensitzung zusammengefunden. Eine Autopsie war das geringste ihrer Probleme. Obie hatte im Moment drängendere Sorgen. Gewohnt, nur wenige Worte zu machen, fand er sich plötzlich in der unangenehmen Lage, von Reportern mit Mikrofonen bestürmt zu werden, wann immer er sich in der Öffentlichkeit zeigte. Der quälende Prozess der Suche nach dem Schuldigen hatte begonnen.
    Obie musste einen Teil der Verantwortung für diese Tragödie übernehmen, hatte er doch der Auswahl der Crewmitglieder in jedem einzelnen Fall zugestimmt. Wenn die Crew versagt hatte, dann hatte letzten Endes er selbst versagt. Und seine Entscheidung für Emma Watson sah rückblickend allmählich wie ein schwerer Fehler aus.
    Das war zumindest die Botschaft, die er in diesem Raum zu hören bekam. Als einzige Ärztin an Bord der ISS hätte Emma Watson merken müssen, dass Hirai sterben würde. Eine sofortige CRV-Evakuierung hätte ihm vielleicht das Leben gerettet. Jetzt war ein Shuttle in den Weltraum geschickt worden, und eine mehrere Millionen Dollar teure Rettungsmission war zu einem Leichentransport geworden. Washington brauchte dringend einen Sündenbock, und die ausländische Presse stellte eine politisch brisante Frage: Hätte man auch einen
amerikanischen
Astronauten sterben lassen?
    Die Reaktion der Medien stand bei diesem Treffen denn auch ganz oben auf der Tagesordnung.
    Gretchen Liu sagte: »Senator Parish hat sich folgendermaßen geäußert …«
    Ken Blankenship, der Direktor des JSC, stöhnte. »Ich will es gar nicht wissen.«
    »CNN Atlanta hat uns ein Fax geschickt. Ich zitiere: ›Millionen von Steuerdollars sind in die Entwicklung des Crew Return Vehicle als Rettungsboot der Station geflossen. Doch die NASA hat es für richtig erachtet, es nicht zu benutzen. Sie hatten einen schwer kranken Mann dort oben, dessen Leben man hätte retten können. Jetzt ist dieser tapfere Astronaut tot, und es ist für alle offensichtlich, dass ein schrecklicher Fehler gemacht wurde. Ein Todesopfer im Weltraum ist genau eines zu viel. Der Kongress muss einen Untersuchungsausschuss bilden.‹«

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