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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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darüber hinwegjagen. »Sinustachykardie, Frequenz hundertvierundzwanzig. Gelegentliche Extrasystolen.«
    »Ich kann es über Biotelemetrie verfolgen.«
    »Messe jetzt den Blutdruck …« Sie pumpte die Manschette auf und horchte auf den Puls, während der Druck langsam abgelassen wurde. »Fünfundneunzig zu sechzig. Nicht auffällig …«
    Der Schlag traf sie völlig unerwartet. Sie stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus, als Kenichis Hand plötzlich ausschlug und sie am Mund traf. Durch den Aufprall wurde sie durch die Luft gewirbelt, flog quer durch das Modul und prallte gegen die Wand.
    »Emma«, rief Jack. »
Emma?
«
    Benommen fasste sie sich an die schmerzhaft pochende Lippe.
    »Sie bluten!«, rief Nikolai.
    Im Kopfhörer war Jacks aufgeregte Stimme zu hören. »Was zum Teufel geht da oben vor?«
    »Schon gut, mir fehlt nichts«, murmelte sie. Und wiederholte dann gereizt: »Mir fehlt nichts, Jack. Reg dich bloß nicht auf.«
    Doch ihr Schädel brummte noch von dem Schlag. Während Nikolai Kenichi auf dem Behandlungstisch festschnallte, wartete sie in der Ecke, bis sich das Schwindelgefühl gelegt hatte. Sie registrierte anfangs gar nicht, was Nikolai sagte.
    Dann sah sie seinen ungläubigen Blick. »Sehen Sie sich mal seinen Bauch an!«, flüsterte Nikolai. »So sehen Sie doch hin!«
    Emma kam näher. »Was um alles in der Welt ist das?«, flüsterte sie.
    »Sag doch was, Emma!«, drängte Jack. »Sag mir endlich, was los ist!«
    Sie starrte auf Kenichis Bauch. Die Haut wellte und kräuselte sich, als ob es darunter brodelte. »Es bewegt sich etwas … unter seiner Haut …«
    »Wie meinst du das, es bewegt sich etwas?«
    »Es sieht aus wie faszikuläre Zuckungen. Aber es wandert quer über den Bauch …«
    »Keine Peristaltik?«
    »Nein. Nein, es wandert nach
oben.
Es folgt nicht dem Darmverlauf.« Sie hielt inne. Die Wellenbewegungen hatten plötzlich aufgehört, und sie sah nur noch die glatte, regungslose Oberfläche von Kenichis Abdomen.
    Faszikulationen,
dachte sie. Unkoordinierte Zuckungen der Muskelfasern. Es war die wahrscheinlichste Erklärung, bis auf ein einziges Detail: Faszikulationen breiten sich nicht in Wellen aus.
    Plötzlich schlug Kenichi die Augen auf und starrte Emma an.
    Der Herzalarm schrillte los. Emma drehte sich zum Monitor um und sah, wie das EKG in wilden Zacken nach oben und unten ausschlug.
    »Kammertachykardie!«, rief Jack.
    »Ich sehe es, ich sehe es!« Sie drückte den Aufladeknopf des Defibrillators und fühlte dann den Puls an der Halsschlagader.
    Da war er. Sehr schwach, kaum fühlbar.
    Er hatte die Augen nach oben verdreht, sodass nur noch die blutroten Skleren zu sehen waren. Noch atmete er.
    Rasch klatschte sie zwei Defibrillatorkissen auf seine Brust, setzte die Elektroden darauf und drückte auf die Knöpfe. Eine elektrische Ladung von einhundert Joule schoss durch Kenichis Körper.
    Seine Muskeln zogen sich in einem einzigen heftigen Krampf zusammen, sodass seine Beine gegen den Tisch schlugen. Nur die Gurte hinderten ihn daran, quer durch das Modul zu fliegen.
    »Immer noch tachykard!«, rief Emma.
    Diana kam in das Modul geschwebt. »Was kann ich tun?«, fragte sie.
    »Machen Sie das Lidocain fertig!«, antwortete Emma knapp.
    »Es ist im Medikamentenschrank, rechtes Schubfach!«
    »Hab’s schon.«
    »Er atmet nicht mehr!«, meldete Nikolai.
    Emma schnappte das Beatmungsgerät und sagte: »Nikolai, stützen Sie mich ab!«
    Er brachte sich in Position, indem er sich Rücken an Rücken gegen sie lehnte und die Füße an der Wand abstützte, während sie Kenichi die Sauerstoffmaske aufsetzte. Kardiopulmonale Reanimation ist schon auf der Erde eine anstrengende Angelegenheit; unter den Bedingungen der Mikrogravitation ist sie geradezu ein Albtraum – eine komplizierte akrobatische Übung mit frei schwebenden Instrumenten, mit Schläuchen, die sich in der Luft verdrehen und verheddern, und Spritzen, die samt ihrer wertvollen Füllung wegzudriften drohen. Man drückt mit beiden Händen auf die Brust des Patienten, und schon kann es einem passieren, dass man an die Decke fliegt. Obwohl die Crew dieses Szenario geübt hatte, konnte man in einer Simulation niemals das tatsächliche Chaos dieser auf engstem Raum durcheinander wirbelnden Körper reproduzieren, den hektischen Wettlauf gegen die Zeit und den Herztod.
    Nachdem die Maske fest über Kenichis Mund und Nase lag, begann sie, Sauerstoff in seine Lungen zu pumpen. Die EKGKurve auf dem Monitor schlug immer noch

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