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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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doch möglich sein,
irgendetwas
zu erreichen, solange sie aneinander gekoppelt sind.«
    Gretchen meinte: »Vom PR-Blickwinkel aus gesehen wäre es nicht sehr gut, wenn alle ihrer gewohnten Arbeit nachgingen, während auf dem Mitteldeck eine Leiche herumliegt. Und besteht da nicht auch ein gewisses – nun ja, Gesundheitsrisiko? Und dann ist da der … Geruch.«
    »Die Leiche befindet sich in einem luftdichten Plastiksack«, sagte Cutler. »Und sie können sie hinter dem Vorhang in einer der Kojen aufbewahren.«
    Angesichts der unappetitlichen Wendung des Gesprächs waren die Gesichter in der Runde ziemlich blass geworden. Sie konnten sich über politische Konsequenzen und Probleme mit den Medien unterhalten, über feindlich gesinnte Senatoren und technische Fehlfunktionen. Aber Leichen, üble Gerüche und verwesendes Fleisch gehörten nicht zu den Dingen, mit denen sie sich gerne befassten.
    Schließlich brach Leroy Connell das Schweigen. »Dr. Cutler, ich verstehe, dass Sie darauf drängen, die Leiche so schnell wie möglich herzuschaffen, damit eine Autopsie durchgeführt werden kann. Und ich verstehe auch den PR-Standpunkt. Dass es wie ein … Mangel an Feinfühligkeit aussehen könnte, wenn wir einfach unserer Arbeit nachgehen. Aber es
gibt
Dinge, die getan werden müssen, selbst angesichts unserer Verluste.« Er blickte in die Runde. »Das ist unser oberstes Ziel, habe ich Recht? Eine unserer Stärken als Organisation. Ganz gleich, was passiert, ganz gleich, was wir durchmachen, wir setzen immer alles daran, den Job zu erledigen, oder?«
    In diesem Moment spürte Obie, wie die Stimmung im Raum plötzlich umschlug. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Schatten der Tragödie, der Druck des Medieninteresses auf ihnen gelastet. Er hatte Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern gelesen. Jetzt begann der Schatten zu weichen. Sein Blick traf den Cornells, und Obie spürte, wie sein abschätziges Urteil über diesen Mann zu bröckeln begann. Noch nie hatte er Schönrednern wie Cornell getraut. Die NASA-Verwaltungsmenschen betrachtete er als notwendiges Übel, und er duldete sie nur so lange, wie sie sich aus allen praktischen Entscheidungen heraushielten.
    Cornell hatte diese Linie zuweilen überschritten. Heute jedoch hatte er ihnen allen einen großen Dienst erwiesen, indem er sie dazu gebracht hatte, einen Schritt zurückzutreten und das Gesamtbild zu betrachten. Jeder war mit seinen eigenen speziellen Anliegen in diese Versammlung gekommen. Cutler wollte eine frische Leiche zum Obduzieren, Gretchen Liu wollte die Geschichte mediengerecht hinbiegen, das Shuttle-Bodenpersonal wollte die Mission der
Discovery
ausdehnen.
    Cornell hatte sie soeben daran erinnert, dass sie über diesen Todesfall und über ihre individuellen Probleme hinausblicken mussten, um zu erkennen, was das Beste für das Raumfahrtprogramm war.
    Obie gab seine Zustimmung in Form eines Kopfnickens, was von der Runde am Tisch zur Kenntnis genommen wurde. Endlich hatte die Sphinx ihre Entscheidung bekannt gegeben.
    »Jeder gelungene Start ist ein Geschenk des Himmels«, sagte er. »Dieser hier soll nicht umsonst gewesen sein.«

5. August
    Tot.
    Emmas Sportschuhe stampften rhythmisch auf die Lauffläche des TVIS-Trainers, und jedes Aufklatschen ihrer Sohlen auf dem rollenden Band, jeder Aufprall, der ihre Knochen, Gelenke und Muskeln durchrüttelte, war ein weiterer Schlag, mit dem sie sich selbst bestrafte.
    Tot.
    Ich habe ihn verloren. Ich habe Mist gebaut und ihn verloren. Ich hätte merken müssen, wie krank er war. Ich hätte auf eine CRV-Evakuierung drängen müssen. Aber ich habe es aufgeschoben, weil ich dachte, ich würde es allein schaffen. Ich dachte, ich würde ihn am Leben halten können.
    Ihre Muskeln schmerzten, Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, und dennoch hörte sie nicht auf, sich selbst zu bestrafen, ihre Wut über ihr Versagen an ihrem Körper auszulassen. Sie hatte den TVIS-Trainer seit drei Tagen nicht benutzt, weil sie zu sehr mit Kenichi beschäftigt gewesen war. Jetzt holte sie alles nach. Sie hatte sich die Haltegurte umgeschnallt, hatte das Laufband eingeschaltet und war einfach losgerannt.
    Auf der Erde lief sie oft und gerne. Sie war nicht besonders schnell, aber sie hatte eine gehörige Ausdauer entwickelt und gelernt, sich in jene hypnotische Trance hineinzusteigern, die Langstreckenläufer überkommt, wenn die Kilometer unter ihren Füßen verrinnen und das Brennen der überanstrengten Muskeln

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