In der Schwebe
Gretchen sah mit grimmiger Miene auf. »Die Worte unseres Lieblingssenators.«
»Ich frage mich, wie viele Leute sich noch daran erinnern, dass er unser CRV-Programm zu Fall bringen wollte«, sagte Blankenship. »Das würde ich ihm jetzt gerne unter die Nase reiben.«
»Das können Sie nicht tun«, erwiderte Leroy Cornell. Als NASA-Verwaltungschef war es ihm in Fleisch und Blut übergegangen, stets sämtliche politischen Konsequenzen einer Entscheidung abzuwägen. Er war der Verbindungsmann der Weltraumbehörde zum Kongress und zum Weißen Haus, und er vergaß nie zu berücksichtigen, wie sich die Dinge in Washington darstellen würden. »Wenn Sie den Senator direkt angreifen, sitzen wir erst recht in der Tinte.«
»Er greift
uns
doch an!«
»Das ist nichts Neues, und jeder weiß, dass es so ist.«
»Die Öffentlichkeit nicht«, meinte Gretchen. »Mit diesen Attacken kommt er in die Schlagzeilen.«
»Genau darum geht es ja – der Senator will in die Schlagzeilen«, sagte Cornell. »Wenn wir zurückschießen, geben wir den Medien nur neues Futter. Sehen Sie mal, Parish war noch nie unser Freund. Er hat jede Budgeterhöhung bekämpft, die wir je beantragt haben. Er will Kanonenboote kaufen, keine Raumschiffe, und wir werden ihn niemals umstimmen.« Cornell holte tief Luft und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Also sollten wir uns vielleicht lieber ernsthaft mit der Kritik auseinander setzen. Und uns fragen, ob sie nicht gerechtfertigt ist.«
Einen Moment lang war es ganz still.
»Offensichtlich sind Fehler gemacht worden«, sagte Blankenship schließlich. »Fehler in der medizinischen Einschätzung. Warum haben wir nicht gewusst, wie krank der Mann wirklich war?«
Obie sah, wie die beiden Flugärzte beunruhigte Blicke tauschten.
Alles konzentrierte sich jetzt auf die Arbeit des medizinischen Teams. Und auf Emma Watson.
Sie war nicht hier, um sich zu verteidigen. Obie würde für sie sprechen müssen.
Todd Cutler kam ihm zuvor: »Watson war dort oben stark gehandikapt. Jeder Arzt wäre das gewesen«, sagte er. »Kein Röntgengerät, kein OP. In Wahrheit weiß niemand von uns, weshalb Hirai gestorben ist. Deshalb brauchen wir die Autopsie. Wir müssen wissen, was genau passiert ist und ob die Mikrogravitation dabei eine Rolle gespielt hat.«
»An der Notwendigkeit einer Autopsie besteht kein Zweifel«, sagte Blankenship. »In dem Punkt sind sich alle einig.«
»Ja, aber der Grund, weshalb ich darauf zu sprechen komme, ist …« – Cutler senkte die Stimme – »… das Problem der Konservierung.«
Es entstand eine Pause. Obie sah, wie sich die Blicke senkten, während alle mit Unbehagen darüber nachdachten, was das bedeutete.
»Was er anspricht, ist das Fehlen von Kühlmöglichkeiten an Bord«, erklärte Obie. »Jedenfalls für etwas so Großes wie eine menschliche Leiche, und dann auch noch in einem System mit einem geschlossenen Luftkreislauf.«
Woody Ellis, der Flugdirektor der ISS, sagte: »Das Shuttle-Rendezvous ist in siebzehn Stunden. Wie stark kann der Körper in dieser Zeit verwesen?«
»An Bord des Shuttles gibt es auch keine Kühlung«, bemerkte Cutler. »Der Tod ist vor sieben Stunden eingetreten. Hinzu kommt die Zeit für das Rendezvous, für den Transport der Leiche und der übrigen Ladung von der ISS ins Shuttle und für das Entkopplungsmanöver. Das heißt, dass die Leiche mindestens drei Tage lang der normalen Raumtemperatur ausgesetzt ist. Und das auch nur, wenn alles wie ein Uhrwerk abläuft. Wovon man, wie wir alle wissen, nicht unbedingt ausgehen kann.«
Drei Tage.
Obie dachte daran, was innerhalb von zwei Tagen mit einem toten Körper passieren konnte. Er dachte daran, wie rohes Hühnerfleisch stank, wenn er es nur für eine Nacht in seinem Mülleimer stehen ließ …
»Wollen Sie damit sagen, die
Discovery
kann ihren Rückflug zur Erde nicht um einen einzigen Tag aufschieben?«, fragte Ellis. »Wir hatten gehofft, es würde Zeit für andere Aufgaben bleiben. Zahlreiche Experimente an Bord der ISS sind abgeschlossen, und die Wissenschaftler hier unten warten darauf.«
»Eine Autopsie wäre wenig aufschlussreich, wenn die Leiche schon zu stark zersetzt wäre«, sagte Cutler.
»Gibt es denn keine Möglichkeit, sie zu konservieren? Vielleicht Einbalsamieren?«
»Das geht nicht, ohne dass man die Chemie durcheinander bringt. Wir brauchen eine unbehandelte Leiche. Und wir brauchen sie so bald wie möglich.«
Ellis seufzte. »Es muss einen Kompromiss geben. Es muss
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