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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Warnlicht auf. An – aus, an – aus.
    Eine Sirene heulte.

14
    Shuttle-Flugdirektor Randy Carpenter sah den Tod auf dem Großbildschirm.
    Im Augenblick der Kollision spürte er den Schlag so deutlich, als hätte ihm jemand eine Faust in die Brust gerammt. Er hob sogar die Hand und hielt sie auf sein Herz.
    Einige Sekunden lang war es im Kontrollraum totenstill. Alle starrten fassungslos auf den Bildschirm mit der Weltkarte, auf der die Flugbahn des Shuttle sich abzeichnete. Rechts davon war das eingefrorene RPOP-Display mit den dreidimensionalen Darstellungen der Discovery und der ISS zu sehen. Der Orbiter war jetzt wie ein zerknautschtes Spielzeug mit der Silhouette der ISS verschmolzen. Carpenter spürte, wie seine Lungen sich plötzlich ausdehnten, und stellte fest, dass er vor Entsetzen vergessen hatte zu atmen.
    Im Kontrollraum brach das Chaos aus.
    »Flight, wir haben keine Sprechverbindung«, hörte er den Capcom sagen. »Die
Discovery
antwortet nicht.«
    »Flight, wir bekommen immer noch Daten vom TCS …«
    »Flight, kein Druckabfall in der Kabine. Kein Hinweis auf Sauerstoffverlust …«
    »Was ist mit der ISS?«, fragte Carpenter ungeduldig. »Haben wir ein Signal von denen?«
    »SVO versucht sie zu rufen. Der Druck in der Station sinkt …«
    »Wie stark?«
    »Er liegt jetzt bei siebenhundertzehn … sechshundertneunzig.
    O Mann, das geht verdammt schnell!«
    Ein Leck im Rumpf der Station,
dachte Carpenter. Aber es war nicht seine Aufgabe, sich darum zu kümmern. Das war Sache des SVO, des Kontrollraums der ISS am anderen Ende des Gangs.
    Plötzlich schaltete sich der Antriebsingenieur ein. »Flight, ich sehe eine Zündung der RCS-Raketen. F2U, F3U und F1U.
Irgendjemand
bedient da gerade die Steuerung im Orbiter!«
    Carpenter richtete sich gespannt auf. Auf dem RPOP-Display war immer noch das Standbild zu sehen; es kamen offenbar keine neuen Daten herein. Doch die Meldung des Antriebsingenieurs verriet ihm, dass die Steuerraketen der
Discovery
gerade gezündet hatten. Das musste mehr sein als eine zufällige Explosion – die Crew versuchte, den Raumtransporter von der ISS wegzusteuern. Aber solange sie keine Funkverbindung hatten, konnten sie nicht wissen, wie der Zustand der Crew war. Es gab keine Bestätigung, dass sie noch am Leben waren.
    Es war das schrecklichste Szenario von allen; keines fürchtete er mehr als dieses. Eine tote Crew an Bord eines um die Erde kreisenden Shuttle. Houston konnte die meisten Manöver des Raumtransporters zwar vom Boden aus steuern, doch zur Erde bringen konnten sie ihn nur mit Hilfe der Crew. Ein funktionierendes menschliches Wesen war vonnöten, um die Schalter umzulegen, mit denen die Zündung für den Wiedereintritt ausgelöst wurde. Eine menschliche Hand musste die Sonden für die Luftdatenmessung aktivieren und das Fahrgestell für die Landung ausfahren. Ohne dass irgendjemand am Steuerpult saß und diese Aufgaben übernahm, würde die
Discovery
in der Umlaufbahn bleiben, ein Geisterschiff, das lautlos um die Erde kreiste, bis es schließlich nach Monaten als Feuerball zur Erde stürzte. Dieser Albtraum zog vor Carpenters geistigem Auge vorbei, während die Sekunden verstrichen und sich um ihn herum im Kontrollraum allmählich Panik ausbreitete. Er konnte keinen Gedanken an die Raumstation verschwenden, deren Besatzung vielleicht in diesem Moment einen entsetzlich qualvollen Tod durch Druckverlust erlitt. Er musste sich auf die
Discovery
konzentrieren, auf
seine
Crew, deren Überleben mit jeder Sekunde des Schweigens unwahrscheinlicher erschien.
    Dann hörten sie mit einem Mal die Stimme. Schwach, stockend.
    »Bodenkontrolle, hier
Discovery.
Houston, Houston …«
    »Es ist Hewitt!«, rief der Capcom. »Sprechen Sie weiter,
Discovery!
«
    »… schwerer Zwischenfall … konnten Kollision nicht verhindern. Schaden am Orbiter scheint minimal …«
    »
Discovery,
wir brauchen Bilder von der ISS.«
    »Ku-Antenne kann nicht eingesetzt werden … Videoanlage ausgefallen …«
    »Können Sie etwas über das Ausmaß des Schadens an der Station sagen?«
    »Beim Zusammenstoß ist ihr Sonnensegelträger abgerissen worden. Ich glaube, wir haben ihnen auch ein Loch in den Rumpf gerammt …«
    Carpenter drehte sich der Magen um. Sie hatten immer noch nichts von der ISS-Crew gehört. Keine Bestätigung, dass sie noch lebten.
    »Wie ist der Status Ihrer Crew?«, fragte der Capcom.
    »Kittredge reagiert kaum noch. Er ist mit dem Kopf gegen die hintere Konsole geprallt. Und die

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