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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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gesprenkelt worden. Die Oberfläche des Mondes leuchtete im sanften Bad reflektierten Erdlichts. Die Sterne brannten. Krater warfen undurchdringliche Schatten. Die Stille war absolut.
    Baedecker legte sich auf das Bett des Jungen, wobei er sorgfältig darauf achtete, daß er die Decke nicht zerwühlte. Er dachte an den kommenden Tag. Wenn er wieder in Chicago war und sich zurück gemeldet hatte, würde er bei Borman und Seretti vorbeischauen. Mit etwas Glück konnten sie sich am Abend zu einem zwanglosen Dinner treffen und sich über das AirbusGeschäft unterhalten, bevor die Versammlung richtig losging.
    Nach dem Essen würde Baedecker Cole Prescott in dessen Haus in St. Louis anrufen. Er würde Prescott sagen, daß er kündigte und die Einzelheiten eines schnellstmöglichen Austritts aushandeln. Anfang September wollte Baedecker St. Louis verlassen haben. Am Labor Day, wenn es klappte.
    Was dann? Baedecker hob den Blick zur Erde, die am Sternenhimmel leuchtete. Die wirbelnden Wolkenmassen waren brillant. Er würde seinen vier Jahre alten Chrysler Le Baron gegen einen Sportwagen eintauschen. Eine Corvette. Nein, etwas Schlankes und Starkes, wie eine Corvette, aber mit einem richtigen Schaltgetriebe. Etwas, das man mit viel Spaß schnell fahren konnte. Baedecker grinste, so durch und durch einfach war alles.
    Was dann? Noch mehr Sterne wurden sichtbar, als sich seine Augen an das Dunkel gewöhnten. Der Junge muß stundenlang gearbeitet haben, dachte Baedecker, sah zur Decke und erblickte ferne Galaxien, die sich als gewaltige, langsame Sternenarme drehten. Er würde nach Westen fahren. Es war viele Jahre her, seit Baedecker zum letzten Mal quer durch den Kontinent gefahren war. Er würde Dave in Salem besuchen und etwas Zeit bei Tom Gavin in Colorado verbringen.
    Was dann? Baedecker hob die Hand und ließ das Gelenk auf der Stirn ruhen. Er hörte Stimmen in den Ohren, aber die Hintergrundgeräusche machten es unmöglich, sie zu verstehen. Baedecker dachte an graue Grabsteine im Gras und dunkle Umrisse, die zwischen den rostigen Stoßdämpfern eines Hudson Baujahr '38 herumwuselten. Er dachte an das Sonnenlicht, das auf den Wasserturm von Glen Oak fiel, und an die schreckliche Schönheit seines neugeborenen Sohns. Er dachte an die Dunkelheit. Er dachte an die Lichter des Riesenrads, das sich lautlos in der Nacht drehte.
    Später, als Baedecker die Augen zumachte und schlief, leuchteten die Sterne weiter.

Dritter Teil
Uncompahgre
     
    »Sind wir alle bereit, den Berg zu erklimmen?«
    Richard Baedecker und die drei anderen Bergsteiger ließen die letzten Überprüfungen von Rucksäcken und Hüftgürteln sein und sahen zu Tom Gavin auf. Gavin war ein kleiner Mann, kaum eins fünfundsiebzig groß, mit länglichem Gesicht, kurzgeschnittenem schwarzen Haar und stechendem Blick. Wenn er das Wort ergriff, und sei es nur, um eine einfache Frage zu stellen, schien seine Stimme von einer angespannten Dringlichkeit, straff wie ein Draht, aus seinem Inneren gestoßen zu werden.
    Baedecker nickte und bückte sich, um das Gewicht des Rucksacks zu verlagern. Er versuchte noch einmal, den gepolsterten Hüftgürtel zu schließen, aber es gelang ihm nicht. Baedeckers Bauch war gerade stattlich genug, der Gürtel gerade eng genug, daß die Metallzähne der Schnalle nicht faßten.
    »Verdammt«, murmelte Baedecker und verstaute den Gürtel so, daß er nicht zu sehen war. Er würde sich mit den Schultergurten begnügen müssen, obwohl das Gewicht des Rucksacks bereits an einer Saite des Schmerzes im Nacken zupfte.
    »Deedee?« fragte Gavin. Seine Tonlage erinnerte Baedecker an die Tausende Checklisten, die er und Gavin während den Simulationen durchgegangen waren.
    »Ja, Liebes.« Deedee Gavin war fünfundvierzig, so alt wie ihr Mann, aber sie war in das alterslose Stadium eingetreten, in das manche Frauen zwischen ihrem fünfundzwanzigsten und fünfzigsten Geburtstag verschwinden. Sie war blond und spindeldürr, und obwohl sie ständig in Bewegung war, drückten ihre Stimme und ihr Verhalten nicht dieses Gefühl zwanghaft unterdrückter Spannung aus, welches das Benehmen ihres Mannes bestimmte. Gavin schien für gewöhnlich verhalten die Stirn zu runzeln, als wäre er geistesabwesend oder würde in Gedanken versuchen, ein inneres Rätsel zu knacken. Deedee Gavin ließ solche Spuren intellektueller Rastlosigkeit oder Aktivitäten nicht erkennen. Von den zahlreichen Astronautenfrauen, die Baedecker kennengelernt hatte, schien Deedee Gavin

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