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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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»Wenn die Männer tagelang fort waren wochenlang, wurden wir alle ein wenig nervös sogar ich, fürchte ich -, aber Joan hat sich nie beschwert. Ich glaube, ich habe in all den Jahren, die ich sie kannte, nicht einmal gehört, wie Joan sich beschwert hat.«
    »Er kam letzten Juni ins Krankenhaus«, sagte Gavin.
    »Ich weiß«, sagte Baedecker. »Ich dachte, wegen einer Blinddarmgeschichte. Jetzt ist er doch wieder wohlauf, oder?«
    »Joan war damals schon Christin, aber sie hatte sich nicht völlig Jesus anvertraut«, sagte Deedee. »Jetzt sind sie und Phillip er ist Buchhalter? soweit ich weiß sehr aktiv in der evangelischen Kirche in Boston.«
    »Es war keine Blinddarmgeschichte«, sagte Gavin. »Ich habe mit Jim Bosworth gesprochen, einem Lobbyisten auf dem Hill in Washington. Er sagte, Muldorffs Freunde im Haus wüßten, daß er an der Hodgkins-Krankheit leidet. Seine Milz wurde letzten Monat herausgenommen.«
    »Gehen Sie dort zur Kirche, meine Liebste? In Boston, meine ich.«
    »Nein«, sagte Maggie.
    »Oh, nun ja«, sagte Deedee. »Ich dachte mir nur, vielleicht sind Sie ja einmal über Joan gestolpert. Die Welt ist ja so klein, oder nicht?«
    »Wirklich?« fragte Maggie.
    »Die Prognosen sind meines Wissens nicht gut«, sagte Gavin. »Aber es besteht ja immer die Möglichkeit, daß ein Wunder geschieht.«
    »Ja, das ist sie«, sagte Deedee. »Einmal, als wir uns alle auf das Unternehmen der Männer vorbereiteten, rief Joan mich an und fragte mich, ob ich kommen und auf ihren kleinen Jungen aufpassen könnte, während sie ein Geburtstagsgeschenk für Dick kaufen ging. Ich hatte eine Freundin aus Dallas zu Besuch, sagte aber: ›Klar, wir kommen beide rüber.‹ Nun, Scott war damals etwa sieben und Tommy drei oder vier...«
    Baedecker stand auf, ging zum Zelt, kroch hinein und hörte nichts mehr.
     
    Als Baedecker sieben oder acht war, irgendwann Anfang des Krieges, hatte er seinen Vater auf einen Angelausflug zu einem Stausee irgendwo in Illinois begleitet. Es war der erste Angelausflug über Nacht, zu dem er mitdurfte. Er wußte noch, wie er mit seinem Vater in einer Touristenblockhütte am See in einem Bett geschlafen hatte und am Morgen in einen heißen, strahlenden Mittsommertag hinausgetreten war. Der breite Wasserstreifen schien alle Geräusche zu dämpfen und gleichzeitig zu verstärken. Die Vegetation entlang des Schotterwegs zum Dock hinunter schien so dicht, daß man sie nicht überwinden konnte, und die Blätter waren um halb sieben Uhr morgens schon mit Staub bedeckt.
    Das kleine Ritual, das Boot und den Außenbordmotor vorzubereiten, war aufregend, ein Erlebnis in der generellen Aufregung des Ausflugs. Die hinderliche, nach Fisch riechende Schwimmweste wirkte beruhigend. Das kleine Boot tuckerte langsam über den Stausee, schnitt durch das ruhige Wasser, wirbelte träge Regenbogen auf, wo Benzin ausgelaufen war, und das Pochen des ZehnPS-Motors verschmolz mit dem Geruch von Benzin und Fischschuppen und löste ein vollkommenes Gefühl für die Örtlichkeit in Baedeckers jungem Bewußtsein aus.
    Die alte Highwaybrücke war weit vom Ufer entfernt gestrandet, als der Damm den Fluß vor ein paar Jahren zugepfropft hatte. Jetzt standen nur noch zwei Bruchstücke des Brückenbogens, die sich weiß wie gebrochene Schenkelknochen vor dem blauen Himmel und dem dunklen Wasser abzeichneten.
    Der junge Baedecker war fasziniert von der Vorstellung, diese Brücken zu betreten, weit draußen in der heißen Ausdehnung des Sees darauf zu stehen, darauf zu angeln. Baedecker wußte, daß sein Vater mit einem Blinker fischen wollte. Er kannte die grenzenlose Geduld, mit der sein Vater angeln würde, mit der er stundenlang, fast ohne zu blinzeln, die Schnur beobachtete, während er das Boot über den See tuckern oder gar mit ausgeschaltetem Motor treiben ließ. Baedecker besaß die Geduld seines Vaters nicht. Das Boot kam ihm bereits zu klein vor, ihr Vorankommen viel zu langsam. Der Kompromiß bestand darin, daß der Vater den Jungen mitsamt der schwerfälligen Schwimmweste aussteigen ließ, während er selbst die nahegelegenen Buchten nach vielversprechenden Fischgründen absuchte. Er nahm Baedecker das Versprechen ab, daß dieser in der Mitte des größeren der beiden Bogen bleiben würde.
    Das Gefühl der Einsamkeit war herrlich. Er beobachtete das Boot seines Vaters, bis dieses hinter einer Landzunge verschwunden war, dann sah er weiter auf die Stelle, bis die letzten Geräusche des Außenbordmotors

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