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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Maggie mit einem breiten Grinsen. »Herrlich!« Auf den Straßen drängten sich Theaterbesucher und Paare überwiegend männlich -, die Hand in Hand unter Neonreklamen dahinschlenderten, welche Wonnen ›oben ohne‹ und ›unten ohne‹ anpriesen. Der Wind roch nach Meer und Autoabgasen. Das Straßenbahnsystem, die Cable Cars, war wegen Reparaturen stillgelegt, und sämtliche Taxis waren entweder besetzt oder außer Rufweite. Baedecker und Maggie fuhren mit dem Bus zum Fisherman's Wharf, wo sie wortlos spazieren gingen, bis ein kalter Nieselregen und Baedeckers verletzter Knöchel sie zwangen, in ein Restaurant zu gehen.
    »Die Preise sind hoch«, sagte Maggie, als der Hauptgang serviert worden war, »aber die Scampi sind köstlich.«
    »Ja«, sagte Baedecker.
     
    »Na gut, Richard«, sagte Maggie und nahm seine Hand. »Was ist los?«
    Baedecker schüttelte den Kopf. »Nichts.« Maggie wartete.
    »Ich habe mich nur gefragt, wie du die Vorlesungen dieser Woche nachholen willst«, sagte er und schenkte ihnen beiden mehr Wein ein.
    »Stimmt nicht«, sagte Maggie. Im Kerzenlicht wirkten ihre grünen Augen beinahe türkis. Ihre Wangen waren selbst unter der Bräune von der Sonne verbrannt. »Sag es mir.«
    Baedecker sah sie lange an. »Ich habe darüber nachgedacht, wie Tom Gavins Sohn seine dumme Show auf dem Berg abzog«, sagte er.
    Maggie lächelte. »Du meinst, während eines Gewitters nackt auf einem Felsen zu tanzen? Mit einer Zeltstange in einer Hand? Die dumme Show?«
    Baedecker nickte. »Er hätte ums Leben kommen können.«
    »Das stimmt«, stimmte Maggie zu. »Zumal er entschlossen zu sein schien, die Namen sämtlicher Götter zu lästern, bis er an den falschen geriet.« Sie schien Baedeckers Ernst zu bemerken, und da veränderte sich ihre Stimme. »He, es ist doch alles gutgegangen? Warum machst du dir jetzt darüber Gedanken?«
    »Mir macht nicht zu schaffen, was er getan hat«, sagte Baedecker. »Mir macht zu schaffen, was ich getan habe, als er auf dem Felsen oben war.«
    »Du hast nichts getan«, sagte Maggie.
    »Genau«, sagte Baedecker und trank sein Weinglas leer. Er schenkte sich noch mehr ein. »Ich habe nichts getan.«
    »Tommys Vater hat ihn da runtergeholt, bevor einer von uns etwas tun konnte«, sagte Maggie. Baedecker nickte. An einem Tisch in der Nähe lachten mehrere Frauen lauthals über einen unhörbaren Witz.
    »Oh, ich verstehe«, sagte Maggie. »Wir sprechen wieder über Scott.«
     
    Baedecker wischte sich die Hände mit der roten Stoffserviette ab. »Ich bin nicht sicher«, sagte er. »Aber Tom Gavin hat zumindest seinen Sohn etwas Dummes machen sehen und ihn vor einer möglichen Katastrophe gerettet.«
    »Ja«, sagte Maggie, »und der kleine Tommy war ... was? ... siebzehn, und Scott wird im März dreiundzwanzig.«
    »Ja, aber ...«
    »Und der kleine Tommy war drei Meter entfernt«, sagte Maggie. »Scott befindet sich in Poona in Indien.«
    »Das weiß ich ...«
    »Außerdem, wer bist du, daß du sagen kannst, Scotts Tun sei eine Katastrophe? Du hast deine Chance gehabt, Richard. Scott ist jetzt ein großer Junge, und wenn er ein paar Jahre damit verbringen will, Mantras zu singen und sein Taschengeld einem bärtigen Arschloch mit Jehovakomplex zu geben, nun, du hast deine Chance gehabt, ihm zu helfen, was also würdest du dazu sagen, daß du einfach dein eigenes versautes Leben in Ordnung bringst, Richard E. Baedecker?« Maggie trank einen großen Schluck Wein. »Oh, Scheiße, manchmal, Richard, machst du mich so ...« Sie verstummte und fing heftig an zu hicksen.
    Baedecker gab ihr sein Eiswasser und wartete. Sie blieb einen Moment schweigend sitzen, machte den Mund auf, um etwas zu sagen, und hickste wieder. Beide lachten. Ein Damenkränzchen an einem der Nachbartische sah mißbilligend herüber.
    Am nächsten Tag, im Golden Gate Park, als sie unter ihrem neugekauften Sonnenschirm orangefarbene Säulen betrachteten, die in den tiefhängenden Wolken auftauchten und wieder verschwanden, sagte Maggie: »Du mußt diese Sache mit Scott erst ins reine bringen, ehe wir uns um unsere eigenen Gefühle kümmern können, Richard, oder?«
    »Ich bin nicht sicher«, sagte Baedecker. »Lassen wir es einfach ein paar Tage ruhen, ja? Wir unterhalten uns Ende der Woche noch einmal darüber.«
    Maggie strich einen Regentropfen von der Nase. »Richard«, sagte sie, »ich liebe dich.« Es war das erste Mal, daß sie das sagte.
    Am Morgen, als Baedecker aufwachte, weil strahlender Sonnenschein zu den

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