Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
hinweg und im selben Augenblick sieht er Mount St. Helens deutlich. Der Vulkan ragt über das Tal und die Kammlinie auf wie ein großer, zertrümmerter Eisklumpen. Eine kleine Fahne Rauch oder Wolken hängt darüber. Zum ersten Mal stellt Baedecker fest, daß er auf Asche geht. Unter der dünnen Schneeschicht ist der Boden mehr grau als braun. Das Durcheinander der Fußspuren auf dem Boden erinnert ihn an den niedergetrampelten Bereich um die Mondlandefähre, als er und Dave am Ende des zweiten Tages von ihrer letzten Exkursion zurückkehrten.
    Die Absturzstelle, der Vulkan und die Asche erinnern Baedecker an den unausweichlichen Triumph von Katastrophen und Entropie über Ordnung. Lange Streifen gelb-orangefarbenen Plastikbandes hängen an Felsen und Büschen und kennzeichnen Stellen, die die Ermittler interessant fanden. Zu Baedeckers Überraschung ist das Wrack des Flugzeugs noch nicht abtransportiert worden. Er bemerkt die beiden langen, verbrannten Areale, etwa dreißig Meter auseinander, wo die T-38 auf den Hügel aufgeschlagen und berstend abgeprallt war. Der größte Teil des Wracks befindet sich an einer Stelle, wo ein Band flacher Felsen wie neue Backenzähne aus der Hügelflanke emporsteigt. Schnee und Asche erstrecken sich in einem Muster, das Baedecker an die sekundären Krater in der Nähe der Mondlandestelle beim Mariusgebirge erinnert.
    Nur undefinierbare und verbogene Trümmer des Flugzeugs sind übrig geblieben. Das Heck ist beinahe unversehrt; zwei Meter sauberes Metall, auf dem Baedecker die Seriennummer der Air National Guard lesen kann. Eine lange, rußgeschwärzte Masse identifiziert er als eine der beiden General Electric-Turbojets. Geschmolzene Plastikteile und verbogene Metalltrümmer liegen überall verstreut. Stränge weißer, isolierter Kabel sind wahllos um den Rumpf herum verstreut wie die zerrissenen Eingeweide eines geschlachteten Tiers. Baedecker sieht einen Teil der rußgeschwärzten Plexiglashaube, die noch mit einem Bruchstück des Rumpfs verbunden ist. Abgesehen von den bunten Bändern, die dort besonders häufig sind, deutet nichts darauf hin, daß der Leichnam eines Mannes in diese zerschmetterten Trümmer geschmolzener Legierungen eingebrannt wurde.
    Baedecker machte zwei Schritte auf die Kuppel zu, tritt auf etwas, sieht nach unten und weicht entsetzt zurück.
    »Mein Gott.« Er reißt eine Faust hoch, ein Reflex, noch während er feststellt, daß es sich bei dem Stück Knochen und verbranntem Fleisch und versengtem Haar unter dem Busch um einen Teil des Leichnams eines kleinen Tiers handeln muß, das unglücklicherweise vom Aufprall oder der Feuerwolke der Explosion erwischt wurde. Er duckt sich und sieht genauer hin. Das Tier mußte so groß wie ein zu groß geratenes Kaninchen gewesen sein, aber die unverbrannten Überreste des Fells sind seltsam dunkel. Er greift nach einem Stock und stößt den winzigen Kadaver an.
    »He, niemand darf dieses Gebiet betreten!« Ein Washington State Trooper kommt schnaufend den Hügel herauf.
    »Schon gut«, sagt Baedecker und zeigt seinen Ausweis vom Luftwaffenstützpunkt McChord. »Ich bin hier wegen der Untersuchung.«
    Der Trooper nickt und bleibt wenige Meter von Baedecker entfernt stehen. Er hakt die Daumen in den Gürtel, während er nach Luft ringt. »Riesenschlamassel, was?«
    Baedecker schaut zu den Wolken auf, als es gerade wieder anfängt zu schneien. Der Mount St. Helens ist nicht mehr zu sehen, er versteckt sich hinter Wolken. Es riecht nach verbranntem Gummi, obwohl Baedecker weiß, daß sich abgesehen von den Reifen kaum Gummi an Bord befunden hat.
    »Gehören Sie zum Untersuchungsteam?« fragt der Trooper.
    »Nein«, sagte Baedecker. »Ich kannte den Piloten.«
    »Oh.« Der State Trooper tritt von einem Fuß auf den anderen und sieht wieder bergab zur Straße.
    »Ich bin überrascht, daß sie das Wrack noch nicht abtransportiert haben«, sagt Baedecker. »Normalerweise versuchen sie immer, es so schnell wie möglich in einen Hangar zu schaffen.«
    »Probleme mit dem Transport«, sagt der Trooper.
    »Oberst Fields und die Jungs von der Regierung sind heute nachmittag drüben in Camp Withycombe in Portland und versuchen, die Situation mit den Lastwagen zu klären. Und dann ist da das Problem mit der Zuständigkeit. Selbst das Forstamt ist eingeschaltet worden.«
    Baedecker nickt. Er bückt sich wieder, um das tote Tier anzusehen, wird aber von einem Stück orangefarbenem Stoff abgelenkt, der von einem Zweig in der Nähe

Weitere Kostenlose Bücher