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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Es braute sich Eis zusammen, aber das wäre kein Problem gewesen, hätte er höher und darüber hinweg steigen können. Dave hat nicht besonders viel gesprochen, und der Flugkontrolleur hört sich wie ein junges Arschloch an. Dave meldete unmittelbar vor dem Absturz, daß er Lichter sehen könne.«
    Baedecker trinkt den letzten Rest Scotch und stellt das Glas auf dem Getränkewagen ab. »Wußte er, daß er abstürzte?«
    Tucker runzelt wieder die Stirn. »Schwer zu sagen. Er hat nicht viel gesagt, meistens bat er um Bestätigung der Flughöhe. Der Kontrolleur des Portland Center wies ihn darauf hin, daß die Bergkuppen in der Gegend bis fünfzehnhundert Meter hinaufreichten. Dave bestätigte und sagte, daß er bei knapp zweitausend aus den Wolken käme und ein paar Lichter sehen könne. Dann nichts mehr, bis sie ihn ein paar Sekunden später vom Radar verloren hatten.«
    »Wie hat seine Stimme geklungen?«
    »Gagarinmäßig«, sagt Tucker.
    Baedecker nickt. Juri Gagarin, der erste Mensch, der die Erde umkreiste, war im März 1968 bei der Bruchlandung einer MiG während eines Routineübungsflugs ums Leben gekommen. In der Gemeinde der Testflieger munkelte man bald von der außergewöhnlichen Ruhe von Gagarins Stimme auf Band, während er die ausgebrannte MiG auf einen freien Platz zwischen den Häusern eines dicht besiedelten Vororts steuerte. Erst als Baedekker ein Jahr vor dem Apollo-Sojus-Testprojekt die Sowjetunion als Mitglied einer Regierungsabordnung besuchte, erfuhr er von einem sowjetischen Piloten, daß Gagarin in einem entlegenen Waldgebiet abgestürzt und als Ursache des Absturzes ›Pilotenfehler‹ zu den Akten genommen worden war. Es gab Gerüchte über Alkohol. Stimmaufzeichnungen existierten gar nicht. Trotzdem hatte sich der Ausdruck ›Gagarinmäßig‹ unter den Testpiloten von Baedeckers und Tuckers Generation als Synonym für absolut kühlen Kopf in einer Gefahrensituation gehalten.
    »Ich verstehe es einfach nicht«, sagt Tucker mit Zorn in der Stimme. »Die Scheiß-T-38 ist das sicherste Scheißflugzeug in der gesamten Air Force.«
    Baedecker sagt nichts.
    »Ein Durchschnitt von zwei Unfällen pro hunderttausend Stunden in der Luft«, sagt Tucker. »Sag mir ein anderes Ultraschallflugzeug mit solchen Zahlen, Dick.«
    Baedecker geht zum Fenster und schaut hinaus. Es regnet immer noch.
    »Und es spielt überhaupt keine Rolle, oder?« sagt Tukker. Er schenkt sich einen dritten Drink ein. »Niemals, oder?«
    »Nein«, sagte Baedecker. »Niemals.«
    Es klopft, und Katie Wilson tritt ein. Tuckers Frau mit dem zerzausten blonden Haar und den eckigen Zügen könnte man auf den ersten Blick für eine hirnlose alternde Cocktailkellnerin halten, aber dann würde man die kühne Intelligenz und aufmerksame Feinfühligkeit unter dem dicken Make-up und dem Südstaatenbrabbeln entdecken. »Richard«, sagt sie, »ich bin froh, daß du wieder da bist.«
    »Tut mir leid, daß es so spät geworden ist«, sagt er.
    »Diane möchte mit dir reden«, sagt Katie. »Ich habe ihr zugeredet, sie solle sich zum Schlafengehen zurecht machen, weil ich wußte, andernfalls würde sie die ganze Nacht aufbleiben und die perfekte Gastgeberin spielen. Sie ist seit achtundvierzig Stunden auf den Beinen, und in einer Woche ist es bei ihr soweit, Herrgott nochmal.«
    »Ich halte sie nicht lange auf, Katie«, sagt Baedecker und geht die Treppe hinauf.
    Diane Muldorff trägt einen Morgenmantel, sitzt auf einem blauen Sofa und liest eine Zeitschrift. Baedecker findet, daß sie hochschwanger aussieht. Sie winkt ihn herein.
    »Ich bin froh, daß du hier bist, Richard.«
    »Tut mir leid, daß es so spät geworden ist, Di«, sagt er.
    »Ich fuhr mit Bill Munsen und Stephen Fields zum Mc-Chord.«
    Diane nickt und legt die Zeitschrift weg. »Mach bitte die Tür zu, Richard, ja?«
    Er gehorcht, kommt dann näher und setzt sich auf den niedrigen Hocker vor ihrem Frisiertisch. Er sieht sie an. Dianes dunkles Haar ist frisch gebürstet, ihre Wangen rosa, aber ihre Augen können Müdigkeit und Trauer der vergangenen Tage nicht verbergen.
    »Tust du mir einen Gefallen, Richard?«
    »Jeden«, antwortete Baedecker wahrheitsgemäß.
    »Oberst Fields, Bob ... die anderen ... sie haben versprochen, mich über die Ermittlungen der Absturzursache auf dem laufenden zu halten ...« Sie verstummt.
    Baedecker sieht sie an und wartet.
    »Richard, wirst du dich selbst darum kümmern? Ich meine, nicht einfach nur dem offiziellen Vorgehen folgen, sondern selbst

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