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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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den der Pilot wählte. Amerikanische Fluggesellschaften erlaubten ihren Piloten nicht, die Maschinen derart hinunterzuziehen, um die Passagiere nicht zu beunruhigen. Den indischen Passagieren schien es nicht weiter aufzufallen. Der Landeanflug auf Bombay lief so rasend schnell ab, daß Baedecker an einen Flug mit einer C-130 nach Pleiku denken mußte, wo der Pilot aus Angst vor Infanteriebeschuß gezwungen gewesen war, fast vertikal runterzugehen.
    Bombay schien nahezu ausschließlich aus Hütten mit Blechdächern und alten, verfallenen Fabriken zu bestehen. Dann erhaschte Baedecker einen Blick auf Hochhäuser und das Arabische Meer, das Flugzeug kippte in einem Winkel von fünfzig Grad, ein Plateau erhob sich zur Begrüßung über die Hütten, und dann setzten sie auf. Baedecker zollte dem Piloten stumm seine Bewunderung.
    Die Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel war fast zuviel für Baedeckers erschöpfte Sinne. Die Elendsviertel begannen fast unmittelbar vor den Toren des Santa Cruz Airport von Bombay. Dutzende Quadratmeilen Hütten mit Blechdächern, durchhängenden Segeltuchunterständen und schmalen, schlammigen Wegen erstreckten sich auf beiden Seiten der Straße. An einer Stelle durchschnitt eine sechs Meter hoch gelegene Wasserpipeline das Dikkicht der Hütten wie ein Gartenschlauch einen Ameisenhaufen. Kinder mit brauner Haut liefen darauf entlang oder ruhten sich auf den rostigen Seiten aus. Überall herrschten schwindelerregende Bewegungen unzähliger Leiber.
    Es war sehr heiß. Die schwüle Luft, die zu den offenen Fenstern des Taxis hereinwehte, strich wie erhitzte, dampfende Abgase über Baedecker hinweg. Gelegentlich konnte er flüchtig das Arabische Meer rechts von sich sehen. Eine riesige Werbefläche in den Vororten verkündete: 0 TAGE BIS ZUM MONSUN, aber von der tiefhängenden Wolkendecke kam kein kühlender Regen herab, lediglich die Rückstrahlung der schrecklichen Hitze und ein bedrückendes Gefühl von Schwere, die sich wie ein Joch auf seine Schultern legte.
    Die Stadt selbst war noch schwindelerregender. Jede Seitenstraße wurde zu einem Nebenfluß weißgekleideter Menschen, die sich in die größeren Ströme und Bäche einer amoklaufenden Masse ergossen. Tausende winziger Geschäftsfassaden boten ihre bunten Waren den Millionen dicht gedrängter Passanten feil. Die Kakophonie von Autohupen, Motoren und Fahrradglocken hüllte Baedecker in eine dichte, undurchdringliche Decke. Gigantische, grelle Plakatwände warben für Filme mit rosigen Schauspielern und schwarzhaarigen Schauspielerinnen mit Schmollmündern und purpurn getönten Teints.
    Dann befanden sie sich auf dem Marine Drive, dem Queen's Necklace, und das Meer lag schwer und grau zu ihrer Rechten. Links konnte Baedecker Cricketfelder, Freiluftkrematorien, Tempel und Bürohochhäuser erkennen. Er glaubte über dem Turm der Stille eine kleine Schar Geier kreisen zu sehen, die auf Leichen gläubiger Parsi warteten, aber als er sich abwandte, tanzten die Pünktchen weiter an der Peripherie seiner Wahrnehmung.
    Im Orkan der Klimaanlage des Oberoi Sheraton zitterte seine schweißnasse Haut. Baedecker konnte sich kaum daran erinnern, wie er sich eingetragen hatte und dem rotgekleideten Pagen zu seinem Zimmer im dreißigsten Stock gefolgt war. Die Teppiche rochen nach Desinfektionsmittel, eine Gruppe lauter Araber im Fahrstuhl verströmte Moschusgeruch, und einen Augenblick glaubte Baedecker sich übergeben zu müssen. Dann drückte er dem Pagen einen Fünfrupienschein in die Hand, die Vorhänge wurden vor das breite Fenster gezogen, die Tür geschlossen, alle Geräusche wurden gedämpft, und Baedecker warf seinen Leinenmantel auf einen Sessel und ließ sich auf das Bett fallen. Innerhalb von zehn Sekunden war er eingeschlafen.
     
    Sie waren fast drei Meilen mit dem Rover gefahren, ein Rekord. Es war eine unruhige Fahrt. Der von den Rädern aufgewirbelte pulverförmige Mondstaub beschrieb seltsame, flache Flugbahnen, die Baedecker faszinierten. Die Welt war grell und einsam. Ihre Schatten eilten ihnen voraus. Jenseits des Funkrauschens und der internen Anzuggeräusche spürte Baedecker eine kalte und absolute Stille.
    Das Gebiet für ihre Experimente lag ein gutes Stück vom Landeplatz entfernt in einem Krater, den die Karten als Kate auswiesen. Sie waren allmählich aufwärtsgefahren, und der winzige Computer im Rover hatte jede Biegung und Kurve gespeichert. Die Landefähre war als goldenes und silbernes Funkeln hinter ihnen im Tal zu

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