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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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eine Geste, die Baedekker allmählich schon vertraut vorkam. »Es gibt da eine Stelle in der Nähe des Wohnorts meiner Großeltern im westlichen South Dakota«, sagte sie. »Einen Vulkankegel in der Nähe der Black Hills am Rande der Prärie. Er heißt Bear Butte. Als Kind bin ich da immer hinaufgeklettert, während Großvater und Großmutter unten auf mich gewartet haben. Jahre später erfuhr ich, daß es eine heilige Stätte der Sioux war. Aber schon vorher als ich oben stand und über die Prärie sah wußte ich, daß es etwas ganz Besonderes sein mußte.«
    Baedecker nickte. »Das ist bei höhergelegenen Stellen oft so«, sagte er. »Es gibt da einen Ort, den ich gern besuche, ein kleines Christian Science College weit draußen in den Boonies auf der Illinoisseite des Mississippi, nicht weit von St. Louis entfernt. Der Campus liegt genau auf den Klippen über dem Fluß. Direkt am Rand steht eine kleine Kapelle, und man kann auf einige Felsvorsprünge hinaustreten und hat den Blick über halb Missouri.«
    »Sind Sie Christian Scientist?«
    Die Frage und ihr Gesichtsausdruck waren so ernst, daß Baedecker lachen mußte. »Nein«, sagte er. »Ich bin nicht religiös. Ich bin nicht ... gar nichts.« Plötzlich sah er sich im Mondstaub knien, das grelle Licht eine Weihe.
    Die Autorikscha war hinter mehreren Lastwagen im Verkehr steckengeblieben. Jetzt scherte sie brüllend aus und überholte rechts, und Maggie mußte ihre nächste Bemerkung beinahe brüllen. »Nun, ich finde, es ist mehr als die Aussicht. Ich finde, manche Stätten besitzen eine eigene Macht.«
    Baedecker lächelte. »Da könnten Sie recht haben.«
    Sie drehte sich zu ihm um, und ihre grünen Augen lächelten ebenfalls. »Und ich könnte mich irren«, sagte sie. »Könnte alles großer Quatsch sein. Dieses Land macht aus jedem einen Mystiker. Aber manchmal denke ich, daß wir uns unser ganzes Leben lang auf einem Pilgerzug befinden, um solche Orte zu finden.«
    Baedecker sah weg und sagte nichts.
     
    Der Mond war ein großer, heller Sandkasten gewesen, und Baedecker der einzige Mensch darin. Er hatte den Rover über hundert Meter vom Landemodul weg gefahren und so geparkt, daß Bilder vom Start übertragen werden konnten. Er löste den Sicherheitsgurt, stützte sich mit einem Arm ab und sprang mit dem behenden Schwung hinaus, der ihm in der geringen Schwerkraft zur zweiten Natur geworden war. Ihre Spuren waren überall im tiefen Staub zu sehen. Die gerillten Profilspuren bildeten Kurven, überkreuzten sich und entfernten sich Richtung Norden, wo das Hochland weiß gleißte. Um das Schiff selbst herum war der Staub festgetreten und gestampft wie Schnee um eine Skihütte.
    Baedecker hüpfte um den Rover herum. Das kleine Fahrzeug war mit Staub bedeckt und in einem schlimmen Zustand. Zwei der kleinen Kotflügel waren abgefallen, und Dave hatte Plastikkarten daran festgeklebt, damit keine Gesteinsbrocken auf die Insassen geschleudert wurden. Das Kamerakabel war dutzendfach verwickelt und mußte auch jetzt von Baedecker gerettet werden. Er hüpfte mühelos zur Vorderseite des Rovers, befreite das Kabel, indem er kurz daran zog, und staubte die Linse ab. Ein Blick verriet ihm, daß Dave sich bereits in die Landefähre zurückgezogen hatte.
    »Okay, Houston, sieht gut aus. Ich gehe jetzt hier aus dem Weg. Wie sieht es aus?«
    »Prima, Dick. Wir können die DisJovery sehen und ... äh ... sollten imstande sein, Sie beim Start zu filmen.«
    Baedecker beobachtete mit kritischem Blick, wie die Kamera sich nach links und rechts drehte. Sie zielte auf seine Taille, dann fuhr sie hoch in ihre Endposition. Er konnte sich das Bild vorstellen, das sie übermittelte. Sein staubiger Raumanzug würde weiß schimmern, von vereinzelten Gurten, Schnallen und der dunklen Fläche des Helmvisiers unterbrochen. Ein Gesicht würde er nicht haben.
    »Gut«, sagte er. »Okay. Nun ... äh ... soll ich sonst noch etwas erledigen?«
    »... tiv ...«
    »Bitte wiederholen, Houston.«
    »Negativ, Dick. Die Zeit, an Bord zu gehen, wird etwas knapp.«
    »Roger.«
    Baedecker drehte sich um und warf einen letzten Blick auf die lunare Landschaft. Die gleißende Sonne löschte fast die gesamte Oberflächenbeschaffenheit aus. Selbst durch das dunkle Helmvisier war die Oberfläche eine gleißende, weiße Leere. Wie seine Gedanken. Baedecker stellte gereizt fest, daß ihm alle möglichen Einzelheiten durch den Kopf gingen die Checkliste vor dem Start, die Prozeduren des Verstauens, eine

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