In der Stille der Nacht - Thriller
Ecke.
Morrow duckte sich unter dem Absperrband hindurch und achtete auf ihre Schritte, suchte den Asphalt nach übersehenem Beweismaterial ab. Sie blieb stehen und blickte auf. Das Haus befand sich zu ihrer Rechten: ein Mäuerchen am Rand des Bürgersteigs, erhöhter Gartenboden, ein bisschen Gras, Steine darauf. Eine Reihe von Autos parkten dort: ein Nissan Minivan, ein Audi, ein neuer Mini und ein kleiner, weißer Transporter.
Auf der Straße daneben lagen zwei Zigarettenstummel, mit zwei großen weißen Beweismittelkarten markiert. Sie bückte sich und nahm sie in Augenschein: Marke Silk Cut. Sie waren dort abgebrannt, wo sie jetzt lagen, die Asche ruhte auf einem Streifen teergelbem Papier. Sie lagen im Abstand von anderthalb Metern voneinander entfernt, als wären sie jeweils aus einem Wagenfenster geworfen worden. Sie drehte sich zu dem Polizisten um, der ihren Wagen gestoppt hatte.
»Sie - weshalb wurden die noch nicht in Tüten verpackt?«
»Hat geheißen, wir sollen warten, bis der Fotograf ein Bild gemacht hat, Ma’am.«
Sie hätten längst in Asservatentüten stecken sollen. Es regnete und eventuelle DNA-Spuren waren jetzt hinüber. Der Tatort war nicht gut gesichert. Insgeheim freute sich Morrow darüber. Sie ging zur Ecke, von wo aus sie die Anwohner besser sehen konnte: Drei Asiaten standen dicht beieinander, sie waren jung und unterhielten sich mit den uniformierten Beamten. Ein älteres weißes Paar stand ebenfalls dort, beide in Mänteln, unten drunter Schlafanzüge. Eine finster dreinblickende junge Hausfrau, die Haare vom
Schlafen wild zerzaust, starrte sie an. Morrow funkelte mit einem Blick zurück, der sagen sollte: »Wir bitten Sie, die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, die entstehen, wenn wir versuchen, Sie vor bewaffneten Räubern zu schützen.« Morrow sah zum Haus hinüber.
Es gab zwei Eingänge in den Garten: eine breite Metallpforte, die direkt zu einem Parkplatz führte und eine weitere kleine, verschnörkelte zum Bürgersteig hin. Morrow bog um die Ecke und entdeckte einen Haufen Glassplitter und Scherben. Im Mäuerchen darüber waren einige Steine herausgebrochen.
Ohne es zu wollen, erwachte ihr Interesse. Sie spürte wie es sich in ihr regte: Fakten, unzusammenhängend, irrelevant, auf Karten verzeichnet und im Kopf abgespeichert, das ganze verinnerlichte Gebiet der Deduktion. Mit Taktik, persönlicher oder professioneller, hatte sie nichts am Hut, aber das hier konnte sie. Wenn Alex Morrow überhaupt etwas sicher wusste, dann wie man ermittelte.
Sie sah die beiden Kollegen mit verschränkten Armen vor der verschnörkelten Gartenpforte stehen und darauf warten, dass das Sondereinsatzkommando wieder abrückte. DS Grant Bannerman und DCI MacKechnie hatten sich nebeneinander postiert, ihre Schultern berührten sich beinahe, sie sahen zur Haustür und lauschten den angeregten Berichten zweier Uniformierter, die sie auf den aktuellen Stand der Zeugenbefragungen brachten. Bannerman nickte, als wüsste er bereits was geschehen war und sei nur gekommen, um allen anderen auf die Finger zu sehen. MacKechnie beobachtete sein Wunderkind anerkennend und ahmte dessen Nicken in abgeschwächter Form selbst nach.
Bannerman. Sein sonnengebleichtes Haar war zu lang, es
hing ihm leicht über die Augen, er war muskulös und sonnengebräunt. Sie dachte, er wolle wie ein Surfer aussehen, aber in ihren Augen wirkte er lediglich wie ein Karrierist, ein Junge, dessen Vater schon bei der Polizei gewesen war und ihn den ranghohen Kollegen vorgestellt hatte. Auf diese Weise war er zum DS befördert worden, als er noch beim CID war. Morrow hatte erst noch einmal Uniform tragen und Prüfungen ablegen müssen und konnte erst danach wieder zum CID zurück. Ohne Vitamin B und ohne finanzielle Unterstützung, hatte sie sich alles alleine erkämpft. Aus dem CID schied niemand aus und nur wenige wurden von dort aus weiterbefördert. Der CID war das Ziel an sich, und die Stellen dort rar. Um es im CID zum Detective Sergeant zu bringen, musste man sich bei den Vorgesetzen einschleimen, Fußball und Golf mit ihnen spielen und sie gewinnen lassen.
Seit einem Monat teilten sich Morrow und Bannerman ein Büro, aber es lief nicht gut. Egal, wie oft er ihr Kaffee kochte und wie viele KitKat er ihr aus dem Automaten holte, sie sah ihm an, dass er hinter ihrem Rücken über sie lästerte, einfach nicht warm mit ihr wurde und sich vor ihren Launen fürchtete. Er hatte sich bereits zwei Monate vor ihrer Ankunft in
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