In der Stille der Nacht - Thriller
beigibt. Vielleicht haben sie Recht, vielleicht gibt es hier wirklich Geld.«
MacKechnie vergewisserte sich, dass Bannerman außer Hörweite war. »Morrow, wir beide wissen, dass dies Ihr Fall ist, aber ich kann Sie nicht damit beauftragen.«
»Sir, Sie haben gesagt, der nächste …«
»Wir hatten hier in jüngster Zeit große Probleme, Minderheiten, Bandenkriege, der kleine Boyle. Wir wollen nicht noch mehr Ärger aufgrund von kulturellen Missverständnissen.«
Morrow biss die Zähne aufeinander und starrte das Haus an, als hätte es ihr etwas getan. »Ich komme von hier, Sir. Ich kenne die Menschen in dieser Gegend …«
»DS Bannerman wird sich darum kümmern«, fuhr er fort. »Sie bekommen den nächsten.«
Dieser Fall war ganz entscheidend für den Verlauf einer Karriere, und MacKechnie würde Bannerman an die Hand nehmen, das war klar. Die Entscheidung war gefallen, mit Gerechtigkeit hatte das nichts zu tun. Ihr Auge begann wieder zu zucken und sie konnte sich nicht einmal überwinden, MacKechnie anzusehen.
»Warum nicht diesen, Sir?«
Er antwortete nicht. Als sie ihn doch wieder ansah, folgte sie seinem Blick zu den jungen Männern jenseits des Absperrbands. Sie hatten das verlorene, willenlose Aussehen von Opfern. Der älteste war groß und trug ein schlichtes Sweatshirt und eine Baumwollhose, er hatte einen Bart. Die beiden jüngeren waren groß und dünn, trugen Salwar Kamiz, Kapuzenjacken und Turnschuhe, traditionell und religiös.
»Für bestimmte Fälle eignen wir uns aufgrund persönlicher Faktoren«, sagte er. »Und für andere nicht. Sie bekommen den nächsten.«
Typisch MacKechnie. Nie sagte er etwas geradeheraus. Heikle Situation, wollte er sagen, diese Asiaten hassen Frauen und abgesehen davon, ticken Sie nicht ganz richtig.
Anhand der Körpergröße der Jungen und ihrer zarten Statur schloss sie, dass sie in der zweiten Generation in Großbritannien lebten. Sie hatten kurze Haare, vom Frisör mit der Maschine geschnitten. Einer von ihnen trug die allerneusten Nikes und das bestimmt nicht, um seine frommen Kumpels
in der Moschee zu beeindrucken. Diesen Jungs war es egal, ob sie eine Frau oder ein Mann war. Sie war zehn Jahre älter als sie, sie hätte genauso gut auch ein Mann sein können und sie kannte sich auf der Southside aus. Wenn persönliche Faktoren eine Rolle spielten, dann passte der Fall zu ihr. Aber MacKechnie vertraute ihr nicht mehr, er spürte, dass sie allmählich durchdrehte. Es war ungerecht, aber im Polizeidienst kam es ständig zu Ungerechtigkeiten, und sie wusste, dass sie es am besten auf sich beruhen ließ.
»Sir, das ist …« Sie bereute die Bemerkung noch bevor ihr das Wort über die Lippen kam: »… diskriminierend.«
Beide blieben stehen, starrten auf das Haus. Kalter Regen prasselte ihnen auf die Köpfe. Ein Rinnsal lief Morrow über die Wange, tropfte ihr vom Kinn, durchnässte ihren Jackenaufschlag, markierte ein ausgefranstes Schussloch über dem Herzen. Hinter ihnen wendeten die Streifenwagen und fuhren davon. Sie spürte eine Last auf ihrer Brust und merkte, dass sie versuchte, nicht zu atmen.
MacKechnie drehte sich nicht um. Seine Stimme war nur ein Murmeln: »Reden Sie nie wieder so mit mir.«
Er wandte sich abrupt ab, ließ sie stehen und ging zu Bannerman.
Scheiße.
3
Sie legten die gesamte Strecke schweigend zurück, so war es geplant gewesen. In Gegenwart der Geisel wird nicht gesprochen. Aber es war kein selbst gewähltes, professionelles Schweigen: Pat war zu wütend, um zu sprechen, Eddy wollte unbedingt wenigstens einen Teil des Plans fehlerlos umsetzen und Malki war so fertig, dass er nicht gleichzeitig fahren und sprechen konnte. Er war es gewohnt der Anlass für schlechte Stimmung zu sein, er wohnte noch bei seiner Mutter und nahm an, er sei wegen seinem kleinen Missgeschick mit dem Mäuerchen schuld an der vergifteten Atmosphäre im Wagen, weshalb er jetzt ganz besonders vorsichtig und vorbildlich fuhr. Er nahm die Autobahnauffahrt, hielt sich auf dem ganzen Weg bis in die Stadt immer strikt an das Tempolimit, fuhr Cathedral ab, machte einen Schlenker über Sighthill, um die Überwachungskameras auszutricksen und kehrte dann aus einer anderen Richtung wieder auf die Autobahn zurück. Fehlerlos.
Die ganze Fahrt über blieb der alte Mann mit dem Gesicht nach unten auf dem polternden Transporterboden in genau derselben Stellung liegen, in der er dort gelandet war: die Nase auf dem Boden, die Beine ausgestreckt, ein Arm flach neben
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