In der Südsee. Zweiter Band
Reise geht. »Mein teurer Freun',« rief er, »mein teurer Freun'« –Kümmeltränen standen ihm in den Augen; der König torkelte voran, der Höfling hinterdrein – eine merkwürdige Gesellschaft berauschter Kinder, denen man einen Karren voll neuer Tollheit anvertraut hatte.
Unmöglich konnte man behaupten, daß die Stadt ruhig war; eine Gärung lag in der Luft, ein zielloses Kommen und Ansammeln der Eingeborenen herrschte auf den Straßen. Doch erst um halb Zwei schreckte uns ein plötzliches Durcheinander von Stimmen auf; wir liefen aus dem Hause und fanden die ganze weiße Kolonie bereits wie auf ein verabredetes Signal versammelt vor. Das Sanssouci war vom Pöbel überlaufen, auf Treppen und Veranden drängten sich unzählige Menschen. Aus allen diesen Kehlen stieg im Augenblick ein unartikulierter, undeutlicher Schrei; er klang wie das Blöken junger Lämmer, nur zorniger. Auf der Straße stand Se. Königliche Hoheit (den ich vor kurzem erst in seinem Amt als Kellermeister gesehen hatte) und schrie auf Tom ein; auf der obersten Treppenstufe in einem wogenden Menschenhaufen stand Tom und brüllte dem Prinzen etwas zu. Eine Weile schwankte der lärmende Mob vor der Bar hin und her. Dann siegte ein brutaler Impuls; er wankte, stürzte vorwärts und wurde wieder zurückgeworfen; die Treppe war ein Meer von Köpfen, und inmitten der auseinanderweichenden Menge tauchten drei Männer auf, die gewaltsam einen vierten mit sich schleppten. An den Haaren und Händen, mit bis auf die Kniee gebeugtem Kopf, so daß sein Gesicht ganz verborgen war, zerrten sie ihn von der Veranda herunter und die Straße entlang ins Dorf, wo er heulend verschwand.Wäre sein Gesicht erhoben gewesen, hätten wir gesehen, daß es blutüberströmt war, wenn auch nicht von seinem eigenen Blut. Der Höfling mit dem krausen Haarschopf hatte für diese Unruhen mit dem Verlust seines einen Ohrläppchens zahlen müssen.
So ging der Auflauf zu Ende, ohne schwerere Verluste zu erzeugen als die, welche inhumanen Menschen ein Lächeln ablockten. Dennoch sahen wir um uns herum nur ernste Gesichter und – eine Tatsache, die Bände sprach – Tom zog die Läden vor die Bar. Mochte die Kundschaft sich anderswohin begeben, mochte Mr. Williams noch so sehr profitieren, Tom hatte für diesen Tag genug von der Bar. Selbst so hatte alles nur an einem Haar gehangen. Ein Mann hatte einen Revolver zu ziehen versucht – aus welchem Grunde, konnte ich niemals erfahren – ein einziger Schuß in dem gedrängt vollen Zimmer hätte seine Wirkung nicht verfehlt. Wo viele bewaffnet und alle betrunken waren, hätte er andere Schüsse nach sich gezogen, und es ist sehr leicht möglich, daß die Frau, die die Waffe erspähte, und der Mann, der sich des Revolvers bemächtigte, die ganze weiße Kolonie gerettet hatten.
Unmerklich begann der Mob sich zu zerstreuen; für den Rest des Tages blieb unsere Nachbarschaft in Frieden und in ziemlicher Einsamkeit. Aber die Ruhe war nur eine lokale; Din und Perandi flossen in anderen Gegenden der Stadt in Strömen, und noch einmal sollten wir mikronesische Gewalttätigkeit kennenlernen. In der Kirche, wohin wir uns zum Photographieren begeben hatten, wurden wir durch einen durchdringendenSchrei aufgeschreckt. Die Szene, die sich uns bot, als wir durch die Türen jenes schattenhaften Raumes spähten, wird mir unvergeßlich bleiben. Die Palmen, die originellen, verstreuten Häuser, die Inselflagge, die an ihrem hohen Maste flatterte, alles lag in fast unerträglich starkem Sonnenlicht da. Und dazwischen wälzten sich zwei kämpfende Frauen auf dem Rasen. Die Streitenden waren leicht zu unterscheiden, weil die eine nackt bis auf den Ridi war, während die andere ein Holoku (loses Gewand) von irgendeiner bunten Farbe trug. Die erstere hatte die Oberhand und hatte sich mit den Zähnen fest in ihrer Gegnerin Gesicht verbissen, die sie wie einen Hund schüttelte; die andere wehrte sich ohnmächtig durch Schlagen und Kratzen. So sahen wir einen Augenblick, wie sie sich, gleich widerlichem Gezücht ineinander verstrickt, herumrollten und miteinander rangen. Dann schloß sich der Kreis des Pöbels und entzog sie unseren Blicken.
Es war eine ernsthafte Frage in jener Nacht, ob wir an Land schlafen sollten. Aber wir waren Reisende, die auf der Suche nach Abenteuern von weither kamen; es wäre höchst inkonsequent gewesen, wenn wir bei dem ersten Anzeichen eines Abenteuers ausgerissen wären; wir schickten also statt dessen an Bord, um unsere
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