In der Südsee. Zweiter Band
mich zu fürchten, und weil ich Angst habe, bitte ich Sie, sieh einer gewissen Gefahr auszusetzen?« – Daran war nicht zu denken. Man mußte einen anderen Ausweg finden; einen einzigen Menschen gab es am anderen Ende der Stadt, der keinesfalls an Kopra interessiert war. Sonst sprach für meine Eignung als Unterhändler wenig zu meinen Gunsten. Ich war mit dem Wightmannschen Schoner angekommen, ich wohnte auf dem Wightmannschen Grundstück, ich verkehrte täglich in dem Wightmannschen Kreise. Es war an sieh eine Anmaßung, wenn ich mich jetzt unaufgefordert in die Geschäftsangelegenheiten des Crawfordschen Agenten einmischte und ihn überreden wollte, seine Interessen zu opfern und sein Leben aufs Spiel zu setzen. Es war kein schöner Ausweg, doch es gab keinen besseren; seit der Affäre mit dem Stein war ich außerdem selbst scharf darauf erpicht, die Sache zu Ende zu führen, der Gedanke an eine delikate Mission reizte mich, und ich hielt es für klug, mich öffentlich zu zeigen.
Die Nacht war sehr dunkel. In der Kirche war Gottesdienst, die Kerzen schimmerten matt durch die Ritzen des Gebäudes. Sonst waren wenig Lichter zu sehen, doch fühlte ich im Dunkeln ganz genau das Kommen und Gehen zahlreicher Menschen und vernahm ein Gesumm und Gezisch von Stimmen, das heimtückisch klang. Ich glaube wohl, daß ich, um eine alte Redensart zu gebrauchen, mit dem Barte auf dem Rücken weiterging. Bei Mullers brannte noch Licht, doch herrschte überall Ruhe, und das Tor war geschlossen. Auf keine Weise vermochte ich den Riegel fortzuschieben. Kein Wunder, denn wie ich später entdeckte, war er vier bis fünf Fuß lang – an sich schon ein reines Befestigungswerk. Während ich noch daran herumprobierte, näherte sich von innen her ein Hund dem Tore und begann mißtrauisch meine Hände zu beschnüffeln, so daß ich gezwungen war: »Heda Hausbewohner!« zu rufen. Darauf erschien Mr. Mullers Kinn über dem Zaun. »Wer ist da?« fragte er wie einer, der nicht die geringste Lust hat, Fremde zu begrüßen.
»Mein Name ist Stevenson«, sagte ich.
»Ach, Mr. Stevens! Ich hatte Sie nicht erkannt. Kommen Sie herein.«
Wir betraten den finsteren Laden, wo ich mich gegen den Ladentisch und er sich gegen die Wand lehnte Alles Licht, das wir hatten, kam aus dem Schlafzimmer, wo, wie ich sah, die Familie zu Bett gebracht wurde. Der Schein fiel gerade auf mein Gesicht, während Mr. Muller im Schatten blieb. Ohne Zweifel sah er voraus, was kommen sollte und suchte eine möglichst vorteilhafte Stellung einzunehmen; doch war die meinigefür einen Menschen, der nur seine Überredungskünste spielen lassen will und nichts zu verbergen hat, vorzuziehen.
»Hören Sie mal,« begann ich, »ich höre, Sie verkaufen den Eingeborenen Schnaps.«
»Das haben andere vor mir auch schon getan«, entgegnete er mit Betonung.
»Ohne Zweifel,« sagte ich, »mich geht aber nicht die Vergangenheit, sondern lediglich die Zukunft an. Ich möchte mir Ihr Versprechen einholen, daß Sie mit dem Alkohol vorsichtig umgehen werden.«
»Was haben Sie daran für ein Interesse?« fragte er höhnisch. »Haben Sie Angst um Ihr Leben?«
»Das tut hier nichts zur Sache«, entgegnete ich. »Ich weiß und Sie wissen es, daß von rechtswegen überhaupt kein Alkohol verkauft werden dürfte.«
»Tom und Mr. Ricks haben ihn schon früher verkauft.«
»Ich habe mit Tom und Mr. Ricks nichts zu schaffen. Ich weiß nur, daß sich jetzt beide geweigert haben.«
»Nein, wahrscheinlich haben Sie wirklich nichts mit ihnen zu schaffen. Wahrscheinlich haben Sie nur Angst um ihr Leben.«
»Hören Sie mal,« rief ich, jetzt in der Tat ein wenig aufgebracht, »Sie wissen im Grunde ihres Herzens ganz genau, daß ich ein absolut vernünftiges Verlangen stelle. Ich will gar nicht, daß Sie von ihrem Profit was einbüßen – obwohl ich natürlich vorziehen würde, wenn es überhaupt keinen Alkohol hier am Orte gäbe, wie Sie vermutlich auch – –«
»Ich sage ja gar nicht, daß ich es nicht auch lieber möchte. Ich habe damit nicht angefangen.«
»Sie haben wahrscheinlich damit nicht angefangen«, antwortete ich. »Und ich verlange ja auch gar nicht von Ihnen, daß Sie dabei verlieren sollen; ich bitte Sie nur als Mann zu Mann um ihr Wort, daß Sie keinen Eingeborenen betrunken machen werden.« Bis jetzt hatte Mr. Muller eine Haltung angenommen, die meine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellte; aber er hatte sie nur mit Anstrengung aufrecht erhalten können, da er
Weitere Kostenlose Bücher