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In der Südsee. Zweiter Band

Titel: In der Südsee. Zweiter Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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mimikrierten die anderen, schnitten Grimassen, warfen den Kopf zurück und starrten nach oben, schwangen die Federbüschel an den Fingern, klatschten in die Hände und klopften sich (laut wie eine Blechtrommel) auf die linke Brust; der Rhythmus war vollendet, die Musik barbarisch, aber voll bewußter Kunst. Ich notierte besonders die Kunstgriffe, deren sie sich fortgesetzt bedienten. Ein plötzlicher Wechsel (ich glaube der Tonart) ohne Unterbrechung des Taktes wurde durch ein jähes, dramatisches Erhöhen der Stimme und eine lebhafte allgemeine Gestikulation angekündigt und hervorgehoben. Die Stimmen der Solisten setzten nacheinander rauh und kakophonisch ein, um sich ganz allmählich zu vereinigen, und wurden dann, wenn sie zusammenklangen, von dem voll einfallenden Chor übertönt. Das übliche, hastige, bellende, unmelodische Auf und Ab der Stimmen wurde von Zeit zu Zeit unterbrochen und verschont durch Bruchstücke einer psalmenähnlichen Melodie, die häufig gut komponiert war, oder durch den Kontrast so wirkte. Der Rhythmus wechselte häufig, und den Schluß eines jeden Stückes, wenn die Stimmung wild und toll geworden war, bildete unfehlbar folgendes Motiv:

    Nur schwer kann man sich das Feuer und die Teufelei vorstellen, die sie in dieses hämmernde Finalehineinlegten; alles rückte zusammen, Stimmen, Hände, Augen, Blätter und flatternde Fingerringe; der Chor wiegte sich im Takt und fesselte die Augen, die Melodie die Ohren; die Gesichter verkrampften sich vor Begeisterung und Anstrengung.
    Kurz darauf erhob sich die ganze Gesellschaft, die Trommler bildeten einen Halbkreis um die Solisten. Zuweilen waren es deren fünf, zuweilen mehr. Die Gesänge, die nun folgten, waren noch dramatischer; obwohl ich niemanden hatte, um sie mir zu erklären, konnte ich doch stellenweise in dunklen, aber klar erkennbaren Umrissen eine gewisse Handlung feststellen; unaufhörlich mußte ich dabei an bestimmte turbulente Massenszenen aus der großen Oper daheim denken; genau so klangen die einzelnen Stimmen aus dem Ensemble hervor, um dann wieder in dem Ganzen zu verschwinden; genau so scharten sich die Darsteller zusammen, mit erhobener Hand und rollenden Augen, die zum Himmel – oder der Galerie – aufblickten. Doch ist die hiesige Kunst bereits über das Vorbild der Thespis hinausgewachsen; die Kunst dieses Volkes hat das Embryostadium längst überwunden: Gesang, Tanz, Trommeln, Quartett und Solo – ein ganzes vollentwickeltes Drama, wenn auch en miniature. Unter allen sogenannten Tanzvorführungen in der Südsee, denen ich beigewohnt habe, nimmt die von Butaritari unbestritten den höchsten Platz ein. Die »Hula«, wie sie der durchreisende Globetrotter in Honolulu zu sehen bekommt, ist sicherlich eine der stumpfsinnigsten Erfindungen, die es gibt, der Zuschauer gähnt dabei wie bei einem Hochschulkolleg odereiner Parlamentsdebatte. Der Gilbertinsel-Tanz dagegen regt den Geist an; er elektrisiert und reißt das Publikum mit; er hat das, was aller Kunst inne wohnt: eine unerforschliche, zwingende Bedeutung. Wo so viele mitwirken und wo alle (in einem bestimmten Moment) die gleiche rasche, komplizierte und oft willkürliche Bewegung machen, müssen die Proben überaus ermüdend sein. Aber die Leute fangen schon als Kinder an zu üben. Häufig kann man einen Mann und ein Kind in einer Maniap' stehen sehen: der Mann singt und gestikuliert, das Kind steht tränenüberströmt vor ihm und ahmt zitternd alle seine Bewegungen und Töne nach; das ist der zukünftige Künstler der Gilbert-Insel, der (wie alle Künstler) in Schmerzen seine Kunst erlernt.
    Ich scheine indes allzu viel zu loben; hier folge daher eine Stelle aus meiner Frau Tagebuch, die beweisen mag, daß ich nicht der einzige war, der mitgerissen wurde, und die das Bild vervollständigt: – »Der Dirigent gab das Zeichen, und alle Tänzer schwangen die Arme, bewegten die Körper hin und her, klopften sich in vollendetem Takt auf die Brust und eröffneten damit das Vorspiel. Die Darsteller blieben inzwischen sitzen, ausgenommen zwei, dann wieder drei Solisten, und zweimal ein einzelner Solist. Diese standen aufrecht in der Gruppe, bewegten kaum merklich die Füße und ließen einen leisen, zitternden Rhythmus durch ihre Körper gleiten. Nach dem Vorspiel kam eine kurze Pause, und dann begann die eigentliche Oper – anders kann man es nicht bezeichnen, eine Oper, in der jeder Sänger zugleich ein vollendeter Schauspieler war. DerHeld schien in seiner

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