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In der Südsee. Zweiter Band

Titel: In der Südsee. Zweiter Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Worte in dieser ungenierten Welt waren wohl so deutlich, daß sie einen Kutscher hätten erröten lassen, das Zweideutige an der ganzen Sache war die gespielte Scham. Für derartige Rollen zeigten die Frauen eine gewisse Begabung; sie waren keck, zierlich, akrobatisch, mitunter wirklich amüsant und manchmal auch hübsch. Doch hat das nichts mit echter Kunst zu tun: ein ganzer Himmel liegt zwischen diesem Herumtanzen und Augenschmeißen und den fremdartigen rhythmischen Gebärden, seltsamen, verzückten, rasenden Gesichtern der besten männlichen Tänzer, die uns während jenes Gilbertinselballetts wie unter einem Zauberbanne hielten.
    Fast von Anfang an war es klar, daß die Butaritari-Leute unterlegen waren. Vielleicht würde ich ihre Leistungen sogar für gut gehalten haben, hätte ich nicht gleichzeitig die zweite Truppe vor Augen gehabt, die mich dauernd an das »gewisse Etwas, das doch so unendlich viel bedeutet« gemahnte. Als der Chor von Butaritari erkannte, daß er dem anderen nicht gewachsen war, wurde er verwirrt, machte Fehler und brach zusammen; in diesem Wirrwarr von fremdartigen Rhythmen hätte ich selbst das Versagen wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wenn nicht das Publikum sich sofort eingemischt und zu spotten angefangen hätte. Um allem die Krone aufzusetzen, begann die Makin-Gesellschaftjetzt einen Tanz von wirklich überragender Qualität. Ich weiß nicht, wovon er handelte, denn ich war viel zu sehr gefesselt, um Fragen zu stellen. In dem einen Akt erzielte der Chor durch fortgesetztes Kreischen in einem seltsamen Falsett eine Wirkung ähnlich der eines europäischen Orchesters; in einem anderen hüpften die Tänzer wie die Springteufelchen auf und nieder und breiteten die Arme aus, um dann mit fabelhafter Schnelligkeit, Behendigkeit und Komik aus der Reihe hervorzubrechen und durcheinanderzulaufen. Eine humoristischere Wirkung habe ich niemals erlebt. In jedem europäischen Theater hätte das Publikum gerast, und diese Insulaner-Zuhörerschaft brüllte vor Lachen und Beifall. Damit war aber das Maß der Konkurrenztruppe voll, sie vergaß sich selbst und allen Anstand. Nach jedem Akt oder jeder Tanzfigur pflegten sich die Darsteller einen Augenblick auszuruhen, und die nächste Nummer wurde durch ein Händeklatschen im Dreivierteltakt eingeleitet. Erst wenn sich das ganze Ballettkorps gesetzt hatte, bedeutete das für ihre Rivalen das Zeichen, sich zu erheben. Jetzt aber wurden alle Regeln durchbrochen. In der Pause nach dem stürmischen Applaus sprang die Truppe von Butaritari plötzlich auf und eröffnete in höchst unnobler Weise für sich eine Vorstellung. Die gaffenden Blicke der Männer von Makin waren recht drollig; mit der gleichen verdutzten Würde habe ich in Europa einen Tenor so das zischende Publikum anstarren sehen; doch zu meiner Überraschung faßten sie sich bald, verzichteten auf den ungesungenen Teil ihres Balletts, nahmen ihre Plätze ein und ließen ihre unritterlichenGegner die Sache zu Ende führen. Doch damit nicht genug. In der ersten Pause kam Butaritari wieder dazwischen; aufgebracht folgte Makin diesem Beispiel, und beide Tänzergruppen blieben stehen, klatschten fortwährend in die Hände und fielen einander bei jeder Gelegenheit in ihr Spiel. Jeden Augenblick erwartete ich, daß es zu Schlägen kommen würde; dabei war unsere Lage in der Mitte zwischen beiden strategisch äußerst unvorteilhaft. Allein die Makin-Leute besannen sich eines Besseren; bei der nächsten Unterbrechung machten sie Kehrt und marschierten hinaus. Wir folgten ihnen, einmal weil sie die wahren Künstler, dann auch weil sie die Gäste waren und man sie schäbig behandelt hatte. Ein großer Teil unserer Nachbarn tat das Gleiche, so daß sich der Gang von einem bis zum anderen Ende mit den Ausreißern füllte und der Chor von Butaritari allein zurück blieb, um zu seinem eigenen Vergnügen vor einem leeren Haus zu singen. So hatten sie zwar den Kampf gewonnen, ihr Publikum jedoch verloren. Ein Glück war es, daß niemand betrunken war; doch frage ich, wo sonst, ob betrunken oder nüchtern, hätte sich eine so aufreizende Szene abspielen können, ohne mit einer Prügelei zu enden?
    Die letzte Phase und der letzte Ruhm dieses glorreichen Tages gehörten uns – dank der zweiten und wirklich unwiderruflich letzten Aufführung der »Phantome«. Rings um die Kirche hatten sich in der Dunkelheit Gruppen von Menschen gelagert, ohne irgend etwas sehen zu können; vielleicht schämten sie sich,

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