Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In der Südsee

Titel: In der Südsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
immer nur etwas nimmt und das andere liegen läßt, um mit dem Besitzer gewissermaßen zu teilen. Erbeutet er chilenisches Hartgeld – die Inselwährung –, so erwischt man ihn nicht; nimmt er aber Gold, französisches Silber oder Banknoten, so wartet die Polizei, bis das Gold in Umlauf kommt, und macht ihren Mann bald dingfest. Und nun folgt eine Schändlichkeit. Offen gesagt wird der Gefangene so lange gepeinigt, bis er bekennt und, wenn es möglich ist, das Geld zurückgibt. Den Marquesaner Tag und Nacht in stockfinsterer Höhle in Einzelhaft zu halten, bedeutet für ihn unaussprechliche Qual. Selbst seine Räubereien führt er bei hellem Tageslicht aus, unter blauem Himmel, gereizt vom Außergewöhnlichen, stets mit einem Komplizen. Die Furcht vor der Finsternis ist immer noch unüberwindlich. Man begreift also, was er in seinem einsamen Loch erduldet, daß er sich sehnt, ein Bekenntnis abzulegen, ein vollgültiger Sträfling zu werden und neben den Kameraden zu schlafen.Während wir in Tai-o-hae weilten, befand sich ein Dieb in Untersuchungshaft. Er war gegen acht Uhr morgens in ein Haus eingedrungen, hatte den Geldschrank erbrochen und elfhundert Franken gestohlen, und nun, unter dem Schrecken der Finsternis, der Einsamkeit und einer mit Teufeln angefüllten Kannibalenphantasie, bekannte er zögernd und gab seine Beute preis. In einem Versteck, das er bereits angegeben hatte, waren dreihundert Franken gefunden worden, und man hoffte, er werde den Rest bald herausrücken. Das wäre schon häßlich genug, wenn es alles wäre, aber ich bin verpflichtet zu sagen, daß mir fortwährend Schlimmeres angedeutet wurde – Dinge, die die französische Regierung beseitigen sollte. Ich hörte, daß ein Mann sechs Tage hindurch festgehalten wurde, die Arme rückwärts an eine Tonne gebunden, und allgemein wird berichtet, daß jeder Gendarm in der Südsee eine Art Daumenschraube mit sich führt. Ich besaß nie den Mut, einen dieser Gendarmen – liebenswürdige, kluge und höfliche Menschen –, mit denen ich befreundet war, und deren Gastfreundschaft ich genoß, zu befragen; und vielleicht beruht die Erzählung, wie ich hoffe, auf einer Verwechslung mit der vorzüglichen Fessel, durch die der französische Polizeiagent die Gefangenen so leicht beherrscht, aber Torturen, körperliche oder geistige, werden bestimmt angewandt, und barbarische Ungerechtigkeit macht den Anklagezustand, in den auch ein Unschuldiger geraten kann, tatsächlich zur Qual, während der Strafvollzug, der ja nur Schuldige treffen soll, verhältnismäßig milde und tatsächlich angenehm ist. Was vielleicht noch schlimmer ist: nicht nur der Angeklagte, sondern manchmal auch seine Frau,seine Geliebte oder sein Freund werden denselben Qualen ausgesetzt. Ich bewunderte im Tabusystem die Schlauheit eingeborener Kriminalistik –, an der französischen Methode ist nicht viel zu bewundern. Ein furchtsames Kind in einen finstern Raum einzusperren und, wenn es hartnäckig leugnet, die Schwester in den nächsten, ist weder erfinderisch noch human.
    Die Hauptveranlassung zu diesen Diebereien ist das neue Laster des Opiumessens. »Hier arbeitet niemand, und alle essen Opium«, sagte ein Gendarm, und Ah Fu kannte eine Frau, die täglich für einen Dollar verzehrte. Der erfolgreiche Dieb schenkt jedem seiner Freunde eine Handvoll Geld, seinem Weibe ein Kleid, verbringt einen Abend in einer Kneipe von Tai-o-hae, wo er alle Gäste freihält, verschafft sich ein großes Stück Opium und verschwindet im Busch, um es aufzuessen und den Rausch auszuschlafen. Ein Händler, der kein Opium führte, gestand mir, daß er sich nicht mehr zu helfen wisse. »Ich verkaufe nichts, aber die andern tun es,« sagte er, »die Eingeborenen arbeiten nur, um Opium zu kaufen; wenn sie zu mir kommen, um ihre Baumwolle zu verkaufen, müssen sie zu einem andern gehen, um es mit meinem Gelde einzuhandeln. Warum also sich die Mühe zweier Wege machen?« »Man kann sagen, was man will,« fügte er hinzu, »Opium ist das Zahlungsmittel hierzulande.«
    Der Mann, der sich damals in Tai-o-hae in Untersuchungshaft befand, verlor die Geduld, als der chinesische Opiumhändler in seiner Gegenwart verhört wurde. »Selbstverständlich hat er mir Opium verkauft!« schrie er, »alle Chinesen hier verkaufen Opium; nur um Opium zu kaufen, habe ich gestohlen, nur umOpium zu kaufen, stiehlt überhaupt jemand. Sie sollten kein Opium hierherkommen lassen und keinen Chinesen!« Eben das führt die

Weitere Kostenlose Bücher