Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In der Südsee

Titel: In der Südsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
hatte sie auf dem Hochgericht gesessen, da sie ja eine so große Dame war, und dort als einzige ihres Geschlechts gethront, während die Trommeln zwanzigweise gedröhnt und die Priester die blutgetränkten Körbe mit Menschenfleisch (Langschwein) herbeigetragen hatten. Und nun stelle man sich, nach einer solchen Vergangenheit der Gewalttaten und furchtbaren Feste, diese ruhige, sanftmütige, wohlerzogene alte Dame vor, denen ähnlich, die man zu Hause in manchen Landhäusern findet, auch behandschuht, aber nicht oft von so feinem Benehmen. Aber Vaekehus Handschuhe waren aus Farbe, nicht aus Seide, und nicht mit Geld, sondern mit gekochtem Menschenfleisch bezahlt. Mit einem Ruck tauchte in mir die Frage auf, wie sie selbst wohl darüber denke, und ob sie im innersten Herzen nicht den Wandelbedaure und sich nach ihrer barbarischen und aufregenden Vergangenheit zurücksehne. Aber als ich Stanislao ausforschte, sagte er: »O, sie ist zufrieden, sie ist fromm und verbringt alle ihre Tage bei den Schwestern.«
    Stanislao – Stanislaos unter Auslassung des letzten Konsonanten nach polynesischer Gepflogenheit – wurde vom Bischof Dordillon nach Südamerika geschickt und dort von den Patres erzogen. Er spricht fließend Französisch, redet klug und geistreich und leistet den Franzosen als Hauptaufpasser vorzügliche Dienste. Mit dem Prestige seines Namens und seiner Familie und, wenn nötig, mit dem Stock hält er die Eingeborenen bei der Arbeit und sorgt für gute Wege. Ohne Stanislao und die Gefangenen möchte ich die Existenzfähigkeit der heutigen Regierung in Nuka-hiva bezweifeln; vielleicht würden die Chausseen unpassierbar werden, der Landungssteg abbröckeln und die Residentschaft unter den Augen unfähiger Beamter zerfallen. Und obgleich er traditionsgemäß die Franzosenherrschaft begünstigt und fördert, vergißt er die Vergangenheit nie. Er zeigte mir, wo der alte Versammlungsplatz gewesen war, noch angedeutet durch verstreute Steinhaufen, erzählte mir, wie groß und schön er gewesen, auf allen Seiten von stark bevölkerten Häusern umgeben, aus denen bei Trommelschlag die Menge herbeigeströmt sei, um Feste zu feiern. Der Trommelwirbel der Polynesier besitzt einen sonderbaren und düsteren Reiz für die Nerven aller Menschen. Weiße empfinden ihn, bei diesen rasenden Tönen schlägt ihr Herz schneller; und nach den Berichten alter Einwohner war die Wirkung auf die Eingeborenen furchtbar. Mochte Bischof Dordillonflehend bitten und Temoana selbst befehlen und drohen: beim Ton der Trommeln triumphierten die wilden Instinkte. Würden sie heute auf diesen Ruinen erschallen, wer sollte zur Versammlung eilen? Die Häuser sind eingefallen, das Volk ist tot, die Nachkommenschaft erloschen, der Abschaum und die Flüchtlinge ferner Buchten und Inseln nisten sich auf ihren Gräbern ein. Den Verfall des Tanzes beklagt Stanislao besonders. »Jedes Land hat seine Sitten«, sagte er; aber die Anzeige irgendeines Gendarmen, der in verwerflichem Eifer die Zahl der Straffälle und seine Macht erhöhen will, läßt Sitte nach Sitte der Ausrottung anheimfallen. »Sehen Sie, ein Tanz, der nicht erlaubt ist«, sagte Stanislao; »ich weiß nicht warum, er ist sehr hübsch, nämlich so!« Und er steckte seinen Schirm aufrecht in die Erde und markierte die Schritte und Bewegungen. Seine Kritik der Gegenwart und das Bedauern über die Vergangenheit war stets überraschend gemäßigt und vernünftig. Die kurze Amtsdauer des Residenten hielt er für das Hauptübel der Verwaltung, denn der Beamte war eben erst eingearbeitet, wenn er abberufen wurde. Ich glaubte auch zu bemerken, daß er den kommenden Übergang vom Marine- zum Zivilgouverneur einigermaßen fürchtete. Ich selbst jedenfalls bin sicher, daß dies die richtige Auffassung ist, denn die Zivilbeamten Frankreichs sind dem Ausländer niemals als Elite ihres Landes erschienen, während die Marineoffiziere sich mit denen der ganzen Welt messen können. In allen seinen Reden betonte Stanislao stets, daß seine Heimat ein Land der Wilden sei, und wenn er eigene Meinung ausdrückte, bemerkte er, er sei ein Wilder, der Reisen gemacht habe. In dieserbewußten Bescheidenheit war ein gut Teil ehrlichen Stolzes. Aber etwas lag in dieser Vorsicht, was mich traurig stimmte; ich mußte befürchten, er wolle nur einer Zurechtweisung zuvorkommen, die er allzuoft erduldet hatte.
    Zweier Unterredungen mit Stanislao erinnere ich mich mit Interesse. Die erste fand an einem Nachmittag der

Weitere Kostenlose Bücher