In der Südsee
teilgenommen, er allein erduldete die Strafe. Er wurde zu fünf Jahren verurteilt. Die Zeit war noch nicht abgelaufen, als ich das Vergnügen hatte, seine Freundschaft zu erwerben; er bezog noch Gefängnisrationen, die einzige und nicht unwillkommene Erinnerung an seine Ketten, und blickte dem Termin seiner Befreiung, wie ich glaube, nur mit Schrecken entgegen. Denn er empfand keine Scham über seine Lage, beklagte sich über nichts als über den zerbrochenen Tisch seiner Haftwohnung und bedauerte nichts als den Mangel an Hühnern, Eiern und Fischen, die man auf seiner eigenen gesegneten Insel besaß. Und was seine Pfarrkinder betraf, so schätzten sie ihn nicht um einen Deut geringer. Ein Schulknabe, der zehntausend Zeilen Griechisch zur Strafe lernen und auf dem Schlafsaal verbannt wohnen muß, genießt die uneingeschränkte Bewunderung seiner Mitschüler. So erging es Taniera: er war ein berühmter Mann, nicht ein Ehrloser. Er war von der Zuchtrute unsichtbarer Götter getroffen worden, ein Hiob etwa oder ein Taniera in der Löwengrube. Wahrscheinlich wird man über diesen heiligen Robin Hood Lieder verfassen und singen. Andererseits war er sogar hochbegabt für sein kirchliches Amt, denn er war von Natur aus ein ruhiger, rücksichtsvoller undliebenswürdiger Mensch, sein Gesicht trug ernste Falten, sein Lächeln war herzhaft; er beherrschte mehrere Handelszweige, konnte Boote und Häuser bauen, besaß eine gute Rednerstimme und eine so vortreffliche Gabe der Beredsamkeit, daß er am Grabe des früheren Häuptlings von Fakarava alle Anwesenden zu Tränen rührte. Ich habe niemals einen kirchlicheren Mann getroffen, er liebte es, über Dogmen und Sektengeschichte zu disputieren und sich zu unterrichten, und als ich ihm die Stiche in einem Bande von Chambers' Enzyklopädie zeigte, richtete sich seine ganze Begeisterung auf Kardinalshüte, Weihrauchgefäße, Leuchter und Kathedralen – abgesehen von dem Bild eines Affen. Ich glaube, als er einen Kardinalshut anblickte, flüsterte eine leise Stimme in sein Ohr: »Dein Fuß sieht auf der Leiter!«
Unter der Führung Tanieras waren wir bald untergebracht in einem Privathause, das nach meiner Ansicht das bestgelegene von Fakarava war. Es stand dicht hinter der Kirche auf einem länglichen Streifen Kulturlandes. Mehr als dreihundert Sack Erde waren von Tahiti für den Residentschaftsgarten eingeführt worden, und man mußte es bald wiederholen, denn die Erde weht fort, sinkt in die Höhlungen der Korallen und wird schließlich vergeblich gesucht. Ich weiß nicht, wieviel Erde für den Garten meines Landhauses verwandt worden ist, aber ziemlich viel sicher, denn eine Allee üppiger Bananen führte zur Tür, und auf dem übrigen Teil des eingezäunten Grundstückes, das mit den üblichen klinkerartigen Stücken zertrümmerter Korallen bedeckt war, wuchsen nicht nur Kokospalmen und Wikis, sondern auch Feigenbäume in herrlichem Blätterschmuck. Selbstverständlich gab es keinen Grashalm.Vorn trennte uns ein Holzzaun von der weißen Straße, dem palmenumrandeten Bande der Lagune und der Lagune selbst, die am Tage die Wolken und nachts die Sterne widerspiegelte. Im Hintergrund schloß uns eine Art Mauer von mörtellosen Korallen ab von dem schmalen Buschgürtel und dem nahen Strande des Ozeans, wo die See erdröhnte und ihr Tosen und Branden bis in die Kammern unseres Hauses sandte.
Das Haus selbst war einstöckig, mit einer Veranda vorn und hinten. Es enthielt drei Zimmer, drei Nähmaschinen, drei Seekisten, Stühle, Tische, ein paar Betten, eine Wiege, eine doppelläufige Flinte, ein paar vergrößerte farbige Photographien, ein paar Buntdrucke nach Wilkie und Mulready und eine französische Lithographie mit der Unterschrift: »Die Brigade des Generals Lepasset verbrennt ihre Fahne vor Metz.« Unter den Pfosten des Hauses rostete ein Ofen, bis wir ihn herauszogen und in Tätigkeit setzten; nicht weit entfernt war eine Öffnung in den Korallen, wo wir uns mit Brackwasser versorgten. Auch Lebewesen waren auf dem Grundstück, Hähne und Hühner und ein Wurf schlecht erzogener Katzen, die Taniera jeden Morgen bei Sonnenaufgang mit geschabter Kokosnuß fütterte. Seine Stimme war unser regelmäßiger Weckruf, wenn er sie über den Garten hin erklingen ließ: »Put, put, put, put, put!«
Waren wir auch fern von den öffentlichen Gebäuden, so machte doch die Nähe der Kapelle die Lage unseres Hauses »bevorzugt«, wie man in einer Anzeige gesagt hätte, und erlaubte uns
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