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In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cunningham
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Missy. Die reinigende Förmlichkeit der Südstaatler …
    »Rebecca sollte dich zu der Puryear-Ausstellung mitnehmen. Im Modern.«
    »Das würde mir gefallen.«
    Er schaut Peter mit diesen schielenden Augen an, die ihn seltsamerweise nicht töricht wirken lassen, aber eine leicht verrückte Intensität erzeugen.
    »Kennst du sein Werk?«, sagt Peter.
    »Ja.«
    »Es ist eine schöne Ausstellung.«
    Und dann, jetzt, kommt Rebecca zurück. Peter erschrickt leicht, als er ihren Schlüssel im Schloss hört, als hätte sie ihn bei irgendetwas ertappt.
    »Hallo, Jungs.« Sie kommt mit der Milch herein, die Missy für seinen Morgenkaffee brauchen wird, und den zwei Flaschen kostspieligem Cabernet, den sie alle heute Abend trinken werden. Sie bringt ihre ureigene Vitalität mit – ihr lässiges Wissen um ihre eigene Bedeutung, ihre perfekt ausgebleichten Jeans, den hellblauen Pulli und die knapp schulterlangen Locken, die mit der zunehmenden Grautönung drahtig werden. Sie gibt sich noch immer wie das hübsche Mädchen, das sie war.
    Wenn die frühe Blüte der Fluch der Taylors ist, gibt es dann einen bestimmten Zauber in dem heruntergekommenen alten Haus, der in dem Moment vergeht, in dem sie es verlassen?
    Küsse und Begrüßungen werden ausgetauscht, eine der Weinflaschen wird geöffnet. (Sollte Rebecca einem Drogenabhängigen Wein anbieten, was hat es damit auf sich?) Sie setzen sich mit den Weingläsern ins Wohnzimmer.
    »Ich werde Julie bitten, nächstes Wochenende raufzukommen«, sagt Rebecca.
    »Das wird nicht klappen«, antwortet Missy.
    »Sie kann die Kinder doch eine Nacht allein lassen. Es sind keine Babys mehr.«
    »Ich sag’s ja bloß. Sie wird’s nicht machen.«
    »Ich werde sie schon bearbeiten.«
    »Ich möchte nicht, dass du sie bearbeiten musst.«
    »Sie wird sie in den Wahnsinn treiben. Die Kids. Es geht nicht mal um sie, es geht nur darum, dass Julie die tollste Mutter sein will, die je gelebt hat.«
    »Bitte zwing Julie nicht, nach New York zu kommen. Ich werde sie besuchen.«
    »Das wirst du nicht.«
    »Eines Tages schon.«
    Missy hockt im Schneidersitz auf dem Sofa und hält sein Weinglas im Schoß, als wäre es eine Almosenschale. Er ist, das lässt sich nicht bestreiten, eine andere Rebecca, aber es geht mehr um Inkarnation als um Ähnlichkeit. Er hat die Lässigkeit des Jüngsten, dieses bedingungslose Selbstvertrauen – schaut mich an, das verheißene Kind . Er hat die gleiche Kopfneigung wie sie, ihre Finger, ihr Lachen. Er ist nicht groß – etwa eins fünfundsiebzig -, und sein Körper ist gedrungen, sehnig. Man kann ihn sich unschwer vorstellen, wie er jüngerhaft am Rand eines heiligen Gartens sitzt. Er sieht genau genommen ein bisschen wie einer der ohnmächtigen Renaissance-Sebastians aus. Er hat dieses wellige mokkafarbene Haar, diese rosig-weißen sehnigen Arme und Beine.
    Peter hört seinen Namen.
    »Was?«
    Rebecca sagt: »Wann haben wir Julie und Bob besucht?«
    »Ich weiß es nicht.Vor acht, neun Monaten, glaube ich.«
    »Ist es so lange her?«
    »Ja. Mindestens.«
    »Es ist nicht gerade verlockend, nach Washington runterzufahren«, sagt sie zu Missy. »Und das Wochenende mit ihnen in diesem Monsterhaus zu verbringen.«
    »Ich habe auch ein bisschen Angst vor dem Haus«, antwortet er.
    »Wirklich? Dann liegt es also nicht nur an mir.«
    Peter driftet wieder weg. Sie reden über die Familie, bringen sich auf den neuesten Stand, man kann nicht erwarten, dass er sich daran beteiligt. Er sieht, wie Rebecca sich zu Missy beugt, als wäre ihr kalt und er gäbe Hitze ab. Alle drei Schwestern bestehen darauf, dass Missy ihr Hausgeist ist, ihr Dämon, derjenige, dem sie die Vergehen und Missgeschicke der beiden anderen anvertrauen können.
    Missy hat in der Tat eine gewisse Körperlosigkeit, ist ein bisschen geisterhaft. Er kommt einem vor wie eine Phantasie, die er hegt, sein eigenes Traum-Ich, das anderen gezeigt wird. Das ist zumindest teilweise sicherlich auf eine Kindheit zurückzuführen, die er allein mit Beverly und Cyrus in dem großen Haus verbrachte, als Beverly beunruhigend nachlässig wurde, was häusliche Fragen anging, und Cyrus, der im selben Monat seinen Sechzigsten feierte, in dem Missy zehn wurde, immer mehr in seinem Arbeitszimmer lebte, dem einzigen Refugium vor den überhandnehmenden Hinweisen, dass sich die Überspanntheit seiner Frau mit zunehmendem Alter zu etwas Schlimmerem auswuchs. Die Mädchen kamen zwar, wenn sie konnten, aber sie fingen ihr eigenes Leben an.

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