In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Süße.
»Einen ganzen Monat lang«, sagt Peter.
»Zuerst dachte ich, irgendwas Erstaunliches würde passieren. Wie sich rausstellte, gibt es so ein Geräusch in unserem Kopf, an das wir alle so gewöhnt sind, dass wir es nicht mehr hören. Eine Art statisches Rauschen an Information und Fehlinformation und was sonst noch alles. Und wenn man eine Woche lang bloß auf die fünf Steine und den Kies schaut, vergeht es.«
»Und wird wodurch ersetzt?«
»Langeweile.«
Es ist so ganz und gar nicht das, was Peter erwartet hat, dass er ein seltsames, belegtes, kurzes und schnaubendes Lachen von sich gibt.
Missy sagt: »Und andere Sachen. Ich meine das gar nicht flapsig. Aber ich … es klingt kitschig.«
»Nur zu.«
»Ha. Wie sich rausstellt, will ich eigentlich keine Kutte tragen, auf einem Berg auf der anderen Hälfte des Planeten sitzen und Steine anschauen.Aber ich will auch … Ich will nicht einfach sagen, okay, das war meine spirituelle Phase, jetzt wird’s Zeit, dass ich mich fürs Jurastudium einschreibe.«
Das Geheimnis von Missy.Wo ist der geniale Junge geblieben? Als er ein Kind war, hatte man von ihm erwartet, dass er Neurochirurg wird oder ein großer Romancier. Und jetzt denkt er an (beziehungsweise, okay, er will nicht daran denken) ein Jurastudium.War sein großes Potential eine Bürde für ihn?
Peter sagt: »Wäre es zu schrecklich und peinlich, wenn ich fragen würde, was du deiner Meinung nach machen willst?«
Missy runzelt die Stirn, aber amüsiert. »Ich glaube, ich wäre gern König der Unterwelt.«
»Der Job ist schwer zu kriegen.«
»Nein, im Ernst. Ich muss ein bisschen Tritt fassen. Die Leute sagen mir das schon seit Jahren, und allmählich glaube ich es. Ich kann einfach nicht zum nächsten Heiligtum in Japan gehen. Ich kann nicht mehr nach Los Angeles fahren, nur um rauszufinden, was unterwegs passiert.«
»Rebecca glaubt, du denkst daran, irgendwas in, ähm, der Welt der Kunst zu machen, stimmt das?«
Missy errötet vor Verlegenheit. »Na ja, es scheint ein Ding zu sein, aus dem ich mir am meisten mache. Ich weiß nicht, ob ich genau genommen irgendwas zu bieten habe.«
Es ist eine Pose, nicht wahr, diese ganze jungenhafte Verlegenheit? Wie könnte es nicht so sein? Missy, warum weigerst du dich, deine Gaben abzurufen?
»Weißt du, was du genau machen möchtest?«, sagt Peter. »In Sachen Kunst, meine ich.«
Das war ein bisschen väterlich, nicht wahr?
»Ehrlich?«, sagt Missy.
»M-hm.«
»Ich glaube, ich würde gern weiterstudieren und vielleicht Kurator werden.«
»Das ist etwa genauso unwahrscheinlich, wie König der Unterwelt zu werden.«
»Aber irgendjemand muss es doch machen, stimmt’s?«
»Klar. Es ist bloß. Es ist ein bisschen so ähnlich, wie wenn jemand loszieht, um ein Filmstar zu werden.«
»Und einige Leute werden Filmstars.«
Hier haben wir es – das Gerüst aus Hybris, über das die Haut der Unsicherheit gespannt ist. Andererseits, warum sollte ein kluger, schöner Junge bescheidene Ambitionen verfolgen?
»Klar«, sagt Peter.
»Und, na ja. Ich bin irgendwie … Danke, dass du mich so aufnimmst.«
»Ägyptisch« ist nicht ganz die richtige Bezeichnung für das Taylorsche Gesicht, nicht wahr? Sie haben zu viel rosig angehauchte irische Blässe an sich und ein zu ausgeprägtes kreolisches Kinn. El Greco? Nein, sie sind nicht so hager oder streng.
»Wir freuen uns, dich hier zu haben.«
»Ich werde nicht lange bleiben. Ich versprech’s.«
»Bleib so lange wie nötig«, sagt Peter. Was er nicht unbedingt so meint. Doch was kann er machen? Er ist vernarrt in die ganze verdammte Familie. Rose verkauft in Kalifornien Immobilien, Julie hat ihre Praxis aufgegeben, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Das sind keine schrecklichen Schicksale. Weder Rose noch Julie haben ein tragisches Ende gefunden, aber sie führen alle beide ein unerwartet gewöhnliches Leben. Und hier ist der nach Shampoo riechende, Peters Obhut anvertraute Letztgeborene, der am inbrünstigsten und schmerzlichsten Geliebte, das Objekt der größten Hoffnungen und dunkelsten Befürchtungen der Taylors. Das Kind, das noch immer etwas Bemerkenswertes machen und dennoch verloren werden könnte – an die Drogen, an seinen eigenen unsteten Verstand, an den Kummer und die Unsicherheit, die stets gegenwärtig zu sein scheinen, bereit, selbst die vielversprechendsten Kinder der Welt hinabzuziehen.
Er muss unbedingt auf die Welt gewollt haben.
»Das ist sehr lieb von dir«, sagt
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