In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Süchtigen Wein vorsetzen soll. Oder sie können sich einfach mit dem Cabernet einen Schwips antrinken und schlafen gehen.
Rebecca sagt: »Ich hab’s vergessen, war es ein Shinto-oder ein Zen-Heiligtum?«
Missy zwinkert zweimal unter dem gleißenden Strahl, der auf ihn gerichtet ist. »Ähm, Shinto«, antwortet er.
Und da, auf seinem Gesicht, ist die glasklare Überzeugung: Ich will kein Mönch werden, und ich will auch kein Anwalt werden, vor allem aber will ich nicht so enden wie diese beiden.
Das Abendessen geht vorüber, Missy wird in Beas altem Zimmer (das mehr oder weniger so geblieben ist, wie sie es verlassen hat, damit es unverändert ist, wenn sie heimkommt, falls sie heimkommt) zu Bett gebracht. Peter und Rebecca rufen von ihrem Schlafzimmer aus Bea an. Nein, Rebecca ruft Bea an und wird es so einrichten, dass Bea mit Peter spricht, wenn auch nur kurz.
Peter wartet neben Rebecca auf dem Bett, während das Telefon droben in Boston klingelt.Vergib mir, wenn ich hoffe, dass sie nicht daheim ist, wenn ich nur eine Nachricht hinterlassen will.
»Hallo, mein Schatz«, sagt Rebecca.
»M-hm. Ja, uns geht’s gut. Ethan ist hier. Ja, Missy. Ich weiß, dass es ein Jahr her ist, seit du ihn gesehen hast. Was machst du?«
»Richtig. Klar. Ich nehme an, sie werden dir bessere Abende geben, wenn du länger dort bist, meinst du nicht?«
»M-hm. M-hm. Tja, nur keine Panik, du weißt doch, dass deine besorgte Mutter jederzeit für ein paar Dollar gut ist, wenn du dich herablässt, sie zu nehmen.«
Offenbar lacht Bea am anderen Ende. Rebecca lacht ebenfalls.
Bea, die Liebe meines gottverdammten Lebens.Wie bist du zu einem betrübten, einsamen Mädchen geworden, das an einer Hotelbar in Boston arbeitet, ein rotes Jackett trägt und Martinis für Touristen und Kongressteilnehmer mixt? Haben wir unseren ersten Fehler in utero gemacht, war der Name Beatrice für dich zu schwer zu ertragen? Warum hast du die Uni verlassen, um so einen Job anzunehmen? Wenn ich dich dazu getrieben habe, tut es mir von ganzem Herzen leid. Mit allem, was von meinem Herz übrig geblieben ist. Ich habe dich geliebt. Ich liebe dich. Ich habe keine Ahnung, womit oder wann ich es vermasselt habe. Wenn ich ein besserer Mensch wäre, würde ich es vermutlich wissen.
Rebecca sagt pflichtschuldig: »Wie geht’s Claire?«
Claire ist die Zimmergenossin, ein Mädchen mit einer Unmenge Tattoos und offenbar ohne einen Beruf.
»Das tut mir leid«, sagt Rebecca. »Ich glaube, der April ist wirklich der grausamste Monat. Ich gebe dir jetzt deinen Vater, okay?«
Sie reicht ihm das Telefon. Was soll er anderes machen, als es zu nehmen?
»Hey, Bea«, sagt er.
»Hi.«
So ist sie in letzter Zeit zu ihm. Sie ist von offenem Unmut zu nichtssagender Freundlichkeit übergegangen, wie eine Stewardess, die mit einem hilfsbedürftigen Passagier spricht. Das ist schlimmer.
»Was gibt’s Neues?«
»Eigentlich gar nichts. Ich bleibe heute Abend daheim.«
Etwas Stachliges breitet sich in seiner Brust aus. Er hat die Seele dieses Mädchens gesehen, hat ihr winziges, flackerndes Wesen gesehen, als sie nagelneu war. Er hat gesehen, wie sie der Schnee in einen Freudentaumel versetzte, der kleine, zottelige (und stinkige) Lhasa Apso des Nachbarn, ein paar rote Gummisandalen. Er hat sie über zahllose Verletzungen, Enttäuschungen, gestorbene Haustiere hinweggetröstet. Dass sie jetzt leicht betretene Bekannte sind, die Smalltalk machen, heißt, dass die Welt zu fremdartig und rätselhaft, zu schrecklich für sein kleinmütiges Herz ist.
»Tja, genau das machen wir auch. Natürlich, wir sind ältere Leute.«
Schweigen. Okay.
»Wir lieben dich«, sagt Peter hilflos.
»Danke.Tschüs.«
Sie legt auf. Peter hält das Telefon weiter in der Hand.
Rebecca sagt: »Es ist eine Phase.Wirklich.«
»Hm.«
»Sie muss sich von dir lösen. Du solltest es nicht so persönlich nehmen.«
»Ich mache mir allmählich Sorgen um sie. Ich meine, ernste Sorgen.«
»Ich weiß, ich auch ein bisschen.«
»Was sollen wir machen?«
»Sie in Ruhe lassen, glaube ich. Vorerst jedenfalls. Sie jeden Sonntag anrufen.«
Behutsam nimmt Rebecca Peter das Telefon aus der Hand, legt es wieder auf den Nachttisch.
Sie sagt: »Wir sind anscheinend ein Heim für verwirrte Kinder, nicht wahr?«
Ach.
Der Gedanke kommt ganz plötzlich – Rebecca zieht Missy vor. Missy ist so vernünftig, schwer greifbar zu sein, charmant, reumütig und (sag es) schön. Rebecca und Peter haben bei Bea ihr
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