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In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cunningham
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Bestes getan, aber sie kam so früh (ja, sie hatten über eine Abtreibung gesprochen, hat Rebecca ihm jemals verziehen, dass er sie unter Druck gesetzt hat?), und fast so, als hätte Bea gespürt, dass sie nicht ganz gewollt war, neigte sie immer zu einer verletzten Einsamkeit, zu sporadischen Kleinmädchentobsuchtsanfällen, die in der Pubertät durch Griesgrämigkeit und offene Aversion abgelöst wurden, durch lange, herablassende Tiraden über das Elend der Armen und die Verbrechen Amerikas, was umso seltsamer war, als Peter und Rebecca für wohltätige Einrichtungen spendeten und Bea in allem beipflichteten, außer ihren paranoidesten Überzeugungen, wonach Aids ein Experiment der Regierung sei oder dass es geheime Gefängnisse gebe, in denen sie selbst eines Tages verschwinden könnte, weil sie sich so freimütig über die Verschwörungen äußerte, von denen niemand wissen sollte.
    Wie war es dazu gekommen? Lag sie in einem Moment noch begeistert quiekend in seinen Armen, war sie im nächsten bereits ein taffes Mädchen mit scharfen Zügen, das mit Machete und Pistole von ihrem Dorf herunterkam, um ihm seine Verbrechen vorzuhalten. Die Bedürfnisse ihres Volkes waren ihm gleichgültig, er war auf seine Kosten fett geworden, seine Brille war protzig, er hat vergessen, ihr Kleid in der Reinigung abzuholen.
    Anscheinend war ihm etwas entgangen. Er war arglos gewesen, und dann fand er sich rätselhafterweise in Kafkaland wieder, wo es nur darum ging, das Ausmaß seiner Übeltaten und den angerichteten Schaden festzustellen.
    Peter dreht sich zu Rebecca um, sagt beinahe etwas, überlegt es sich aber anders. Stattdessen küsst er sie und schickt sich an zu schlafen, weiß, dass sie noch eine Weile lesen wird, und ist froh darüber, auf eine kindische Art und Weise glücklich, dass er schlafen kann, während seine Frau – seine absolut herzliche, zusehends distanzierte Frau – ihre kleine Nachttischlampe brennen lässt und ihre Seiten umblättert.

Kunstgeschichte
     
    Montag, kurz vor zehn. Uta ist bereits in der Galerie – man kann nicht früher dort sein als sie. »Morgen, Peter«, ruft sie von hinten mit ihrem übertriebenen deutschen Akzent. Sie ist jetzt seit über fünfzehn Jahren in den Staaten, aber ihr Akzent ist stärker geworden. Uta gehört einer anscheinend größer werdenden Schar von trotzig nichtintegrierten Ausländern an. Einerseits verachtet sie ihr Herkunftsland ( Schätzchen, dazu fällt mir nur das Wort »schwermütig« ein ), andererseits scheint sie jedes Jahr deutscher ( nicht-amerikanischer ) zu werden.
    Peter geht durch die eigentliche Galerie – tschüs, ihr Vincents. Der Trupp ist dabei, sie einzupacken. Auch nach fünfzehn Jahren, einer Ausstellung nach der anderen, ist da eine gewisse Enttäuschung, der Hauch einer Niederlage, wenn es an der Zeit ist, alles abzuhängen. Es hat nichts mit dem Verkauf zu tun (obwohl die Vincents in der Tat nicht so gegangen sind, wie er gehofft hatte). Es ist eine Ahnung (andere Händler werden sich auch dazu bekennen, manche jedenfalls, nach ein paar Drinks), dass man mit dieser oder jener Ausstellung etwas Bestimmtes den Bruchteil eines Zentimeters hätte voranbewegen können. Ästhetik? Kunstgeschichte? Oje. Aber dennoch. Was ist mit … dem endlosen Versuch, ein Gleichgewicht zwischen Sentimentalität und Ironie zu finden, zwischen Schönheit und Strenge, und dabei einen Riss im Gefüge der Welt aufzutun, durch den eine schaurige Wahrheit scheinen könnte?
    Richtig. Es sind Gegenstände, die an einer Wand hängen. Sie sind zu verkaufen. Sie sind aber auch ganz schön, auf ihre Weise – Bilder und Skulpturen, in braunes Papier verpackt, mit einer Schnur umwickelt und dann mit Paraffin beschichtet, ein vager Verweis auf Christus im Grabtuch, angefertigt von einem liebenswürdigen und ziemlich verantwortungslosen jungen Mann namens Bock Vincent, der vor drei Jahren seinen Abschluss am Bard College gemacht hat, mit seiner viel älteren Freundin in Rhinebeck wohnt und auf eine etwas begrenzte Art in der Lage ist, über Verpackungen, Verschnürungen und ihren Bezug zur Heiligkeit zu reden, darüber, wie die Kunst, die wir erwarten, immer besser ist als die Kunst, die wir erschaffen können. Er besteht darauf, dass unter der Verpackung Bilder und Objekte sind, ernsthafte Versuche, auch wenn er sie weder zeigen noch schildern will und das Papier zu gründlich eingewachst worden ist, als dass man sie enthüllen könnte.
    Jedenfalls kommen sie heute

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